Essen. Das erfreuliche Bevölkerungswachstum der Stadt Essen hat für junge Familien eine Schattenseite: Die Kita-Landschaft wächst nicht rasch genug mit.

  • In Essen fehlen derzeit noch 2406 Kita-Plätze, die Betreuungsquote sinkt
  • Forcierter Kita-Ausbau kann mit Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten
  • Stadt verlängert Notgruppen und plant 40 neue Einrichtungen bis zum Jahr 2020

Trotz des forcierten Ausbaus der Kita-Landschaft werden zu Beginn des neuen Kindergartenjahres im August wohl viele Jungen und Mädchen keinen Kita-Platz erhalten. „Aktuell besteht ein Bedarf von 2406 Kita-Plätzen“, so heißt es im Planungspapier, das am Dienstag im Jugendhilfeausschuss vorgestellt wird. Denn der Kita-Ausbau hält mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt. So stehe im laufenden Kita-Jahr ein Anstieg um 1790 Kinder einem Zuwachs von lediglich 474 Plätzen gegenüber.

Die angepeilten Versorgungsquoten verfehlt die Stadt damit deutlich: So stehen derzeit nur für 33,7 Prozent der unter Dreijährigen Betreuungsplätze bereit, im Vorjahr waren es noch 35,3 Prozent – als Ziel strebt man 40 Prozent an. Noch ärger ist die Situation bei den Kindern von drei bis sechs Jahren, die schon viel länger einen Rechtsanspruch haben. Im Jahr 2013 hatte die Stadt angekündigt, dass zeitnah für 100 Prozent der Altersgruppe Kita-Plätze bereit stehen sollten. Stattdessen sank die Quote von damals 97,8 Prozent auf derzeit nur noch 91,4 Prozent.

Kitas mit Notgruppen, Tagesmütter mit Wartelisten

Ein Umstand, der demografisch begründet sei, wie Sozialdezernent Peter Renzel betont: „Es sind ja nicht weniger Kita-Plätze geworden, sondern mehr Kinder.“ Im Laufe des neuen Kita-Jahres wolle man die Situation entschärfen.

Die Eltern würden es ihm gewiss danken, denn zuletzt hatte sich die Betreuungssituation verschlechtert: Kitas sind überlaufen, Notgruppen wurden eingerichtet, Tagesmütter führen Wartelisten. Denn seit 2014 ist die Zahl der Kinder zwischen null und sechs Jahren stetig gestiegen, und Peter Renzel rechnet damit, „dass wir uns länger auf einem hohen Geburtenniveau wie im vergangenen Jahr einpendeln“.

Bis 2020 würden der Stadt 3800 Kita-Plätze fehlen

Das hieße, dass zum Jahr 2020 schon rund 3800 Kita-Plätze fehlen würden. „Darum sollen bis zum Kita-Jahr 20/21 gut 40 neue Einrichtungen entstehen, teils Neubauten, teils Erweiterungen“, sagt Renzel. Allerdings laufe naturgemäß nicht jede Baumaßnahme nach Plan: So konnten im vergangenen Jahr nur neun von 14 Vorhaben wie geplant umgesetzt werden.

Insgesamt hat Essen nun 20.132 Betreuungsplätze, das Gros davon in den 271 Kitas. Eine wichtige Rolle fällt daneben der Tagespflege zu: 2183 Plätze bieten die 627 Tagesmütter und -väter. „Durch die persönliche, vertrauensvolle und familiäre Atmosphäre in kleinen Gruppen entspricht diese Form des Bildungs- und Betreuungsangebots genau dem Bedarf vieler Eltern“, heißt es im städtischen Papier.

Tageseltern sehen sich nicht nur als Übergangslösung

Tatsächlich erzielt die Tagespflege bei Kindern bis zum dritten Geburtstag einen Anteil von 36,6 Prozent. Ein Ratsbeschluss von 2011 sah vor, diesen Anteil auf 25 Prozent zu senken. Ein Ziel, das man wohl erst „nach und nach“ erreichen werde, schreiben die städtischen Planer jetzt. Denn in der angespannten Situation nähmen Tageseltern eine „Kompensationsfunktion“ wahr. „Unsere Arbeit wird offenbar nur als Puffer gesehen“, ärgert sich Rebecca Eggeling von der Interessengemeinschaft (IG) Kindertagespflege, die rund 300 Mitglieder hat. „Wir sehen uns aber als beste Betreuungsform für die kleinen Kinder unter drei Jahren und halten eine Senkung unseres Betreuungsanteils daher für grundfalsch.“

Peter Renzel nennt beide Betreuungsformen gleichrangig; weil aber eine wachsende Zahl von Eltern einen Kita-Platz favorisiert habe, sei vor Jahren das 25 Prozent-Ziel formuliert worden. Seither hätten sich die Tageseltern deutlich professionalisiert, statt Einzelkämpferinnen gebe es mehr Verbünde, die Ferienvertretungen und eine insgesamt hohe Verlässlichkeit böten. Kurz: Die Tagespflege werde auch künftig eine wichtige Rolle spielen.

Dezernent will Neubau von Kitas beschleunigen

„Gleichzeitig müssen wir alles tun, um schneller neue Kitas zu bauen“, sagt Renzel. Mindestens zweieinhalb Jahre müsse man aber von Planung bis Einweihung rechnen. Läuft alles glatt, sollen es 2017/18 acht neue Kita-Standorte und 13 Erweiterungen sein: 857 neue Plätze sollen so entstehen. Damit würden die Versorgungsquoten für unter Dreijährige auf 34 Prozent steigen, die für Kinder über drei Jahren auf 95,7 Prozent. Erreicht wird das aber nur, wenn die 2011 beschlossenen drei Notgruppen verlängert werden.

Sorgen bereiten dem Dezernenten die 128 Kinder, die besonderen Förderbedarf haben – aber noch keinen Kita-Platz. Neben den Brückenprojekten des Landes richte die Stadt nun sieben Sprachbildungsgruppen ein, die immerhin 16 Wochenstunden bieten. Man arbeite mit Hochdruck an weiteren Angeboten für die Kinder, die oft aus Flüchtlingsfamilien stammen: „Bevor sie eingeschult werden, brauchen sie eine Chance, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern.“