Essen-Borbeck. . Der Weidkamp war schon immer geprägt von Gärten, Gewerbe und seinen eigenwilligen Bewohnern, die früh gemeinsam für ihre Interessen kämpften.
Heinz Werner Kreul grüßt und kennt praktisch jeden, der ihm an diesem trüben Wintermorgen auf der Straße begegnet. „Als Weidkämper macht man das so“, sagt der 72-Jährige und Stolz schwingt in seiner Stimme mit. Seine Familie lebt seit 1803 in der ältesten Straße Borbecks – daher rührt auch das große Interesse des ehemaligen Elektrotechnikers für die Geschichte vor seiner Haustür.
Der Weidkamp entwickelte sich zunächst im Schatten der Pfarrkirche St. Dionysius und erstreckt sich mittlerweile auf eine Länge von rund 2,2 Kilometer.
Wie heute auch, war der Weidkamp schon immer von Gewerbe geprägt – natürlich zu früheren Zeiten in wesentlich kleinerer Form: „Hier siedelten sich viele sogenannte Kötter an – Menschen, die einen Kotten bewohnten, zu dem meist eine kleinere Landwirtschaft gehörte“, weiß Kreul. Entsprechend grün war der Weidkamp noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, prägten viele Gärten und Felder das Bild.
Hier liegt die Keimzelle Borbecks
„Hier an der Ecke Weidkamp und Möllhoven“, sagt Heinz Werner Kreul mit einer ausladenden Handbewegung, „ist die Keimzelle Borbecks, hier hielten die Dorfbewohner ihre Versammlungen ab“. Dabei geht der Weidkamp auf eine so genannte „Gemeinheit“ zurück – ein Zusammenschluss von Nachbarn, die sich gemeinsam für ihre Belange einsetzten. „Als Borbeck 1815 eine eigenständige Bürgermeisterei wurde, kristallisierten sich Schwierigkeiten mit dem Bürgermeister heraus. Daher haben sich die Anwohner zusammengetan, um ihre Interessen zu vertreten“, weiß Kreul.
Der Weidkamp
Einige alte Gebäude im Weidkamp erinnern bis heute an die vorindustrielle Zeit – allen voran die Alte Cuesterey, die der Kultur-Historische Verein Borbeck 1996 vor dem Verfall bewahrte und umfassend zu einem Kultur- und Museumszentrum für Borbeck umbaute.
Wiedkämpfer kämpften für ihren Straßennamen
Den heutigen Straßennamen erkämpften die Weidkämper dabei selbst zurück – nachdem der preußische Staat mit Einführung der Straßennamen um 1891 dort eine Niederstraße etablieren wollte. „Aber keiner der eingefleischten Weidkämper hätte Niederstraße gesagt. Mit der Eingemeindung 1915 konnten wir uns dann auch offiziell so nennen“, sagt Heinz Werner Kreul.
Neben dem Lokalstolz ist es vor allem der Einfluss der katholischen Kirche, der den Weidkamp lange prägte. Die bis heute traditionelle, große Borbecker Prozession etwa zog früher regelmäßig dort vorbei und machte Station am alten Weidkamp-Kreuz, das seit 1854 an der Kreuzung zur Hülsmannstraße und Am Ellenbogen steht. „Da war hier ein großes Fahnenmeer, die Leute putzten sich und ihre Vorgärten heraus“, blickt Kreul mit Wehmut zurück.
Nachbarn scherzten: „Borbecker Leichenwasser“
Die Zeiten am Weidkamp haben sich gewendet, nicht überall zum Besseren, wie Kreul findet. Die in den 1970er-Jahren grassierende Stadtteilsanierung etwa sieht er bis heute kritisch, die Einrichtung der Borbecker Fußgängerzone brachte jede Menge Verkehr in den früher ruhigen, „alten“ Weidkamp, wie er das Stück zwischen Markt- und Hülsmannstraße nennt.
Viele Zweckbauten seien damals entstanden, architektonisch betrachtet alles andere als schmückend. Nur wenige historische Gebäude sind bis heute erhalten, darunter etwa die alte Borbecker Dampfmühle, in der heute ein Handwerksbetrieb untergebracht ist oder die Gaststätte Mellis, in der sonntags zum Tanztee geladen wird. „Der Gaststättenbetrieb aber ist lange Geschichte“, sagt Kreul.
Auch an den Firmenursprung der Schlossquelle der Eigentümerfamilie Mellis erinnert heute nichts mehr, „dabei hatte das Mineralwasser hier seinen Ursprung“, sagt Kreul. „Borbecker Leichenwasser“ nannten die Nachbarn den Sprudel früher zum Spaß – wegen des benachbarten Friedhofs.
Immer noch Großindustrie und Werkstätten am Weidkamp
Wer den alten Weidkamp verlässt, kommt zunächst an einigen Mehrfamilienhäusern vorbei – in den 1960er Jahren löste die grassierende Wohnungsnot auch in Borbeck einen Bauboom aus.
Kurz dahinter aber besinnt sich der Weidkamp wieder auf seine Ursprünge: 1932 entstand zwischen Weidkamp und Pausmühlenbach eine Kleingartenanlage, in der bis heute noch 168 Gärten bestehen. Dabei hat sich auch wilde Natur an mancher Stelle ihren Platz zurückerobert: Besonders eindrucksvoll ist das auf dem alten Panzerbau-Gelände nördlich der Köln-Mindener Eisenbahnlinie zu beobachten, wo Krupp im Zweiten Weltkrieg Teile für den Tiger-Panzer bauen ließ. Seitdem die Werkshallen 1959 abgebaut wurden, ist aus dem Gebiet ein beliebtes Ziel bei Spaziergängern geworden.
Großindustrie und Werkstätten finden sich dabei noch immer am Weidkamp – Autoteile Weiner und das Unternehmen Frigoblock, das Transportkühlgeräte für Lkw produziert, haben dort etwa ihren Sitz. Nur wenige Meter weiter ist der Standort Weidkamp bald Geschichte: Wann die angekündigte Werksschließung der Großbäckerei Lieken am Weidkamp 230 umgesetzt wird, ist noch immer unklar.