Essen. . Sie hatten auf eine Zukunft in Essen gehofft, doch Dienstagmorgen riss die Polizei Familie Vitija aus dem Schlaf, schob sie ohne Vorwarnung ab.

  • Am Dienstagmorgen wurde Familie Vitija aus den Betten gerissen und abgeschoben
  • Sie konnten nur eine Plastiktüte mitnehmen, stehen im Kosovo vor dem Nichts
  • Helfer sind geschockt über das rabiate Vorgehen kurz vor Weihnachten

Vier Tage vor Weihnachten, wenn alle Kinder schon aufgeregt auf den Heiligen Abend warten, erlebten Dijor (8) und sein fünfjähriger Bruder Drenar eine schreckliche Überraschung: In den frühen Morgenstunden wurden sie und ihre Eltern von der Polizei aus den Betten gerissen und aufgefordert, schnell zu packen. Nur eine Plastiktüte mit den allernötigsten Habseligkeiten konnten sie packen, bevor es weiterging zum Flughafen: Die Familie wurde abgeschoben in den Kosovo.

Wenn Angela Offermann von diesem Dienstagmorgen berichtet, kommen ihr die Tränen. Die pensionierte Lehrerin arbeitet in der Flüchtlingshilfe und hat Teuta Vitija, ihren Mann Venhar und die Söhne kennengelernt, als sie noch in der früheren Tiegelschule im Nordviertel untergebracht waren. Sie habe mit Teuta im Frauenchor der Unterkunft gesungen: „Wir alle haben die Familie ins Herz geschlossen, und sie haben sich so bemüht, hier anzukommen.“

Vater arbeitete bei Großmarkt-Zulieferer, Kinder gingen in Kita und Schule

Mit Erfolg: Venhar Vitija fand im September 2016 eine Stelle bei einem Großmarkt-Zulieferer, seine Frau hatte einen 450-Euro-Job in Aussicht. Die Jungen besuchten Kindergarten und Schule, lernten Deutsch, fanden Freunde. Erst kürzlich zog die Familie von der Tiegelschule in die neue Asylunterkunft in Kettwig. Von dort wurden sie am Dienstagfrüh abgeholt.

Der Frauenchor aus der Flüchtlingsunterkunft Tiegelstraße ist geschockt: Alle Mitglieder hatten Teuta Vitija (3.v.l.) ins Herz geschlossen. Die junge Frau aus dem Kosovo hoffte auf eine Zukunft in Essen.
Der Frauenchor aus der Flüchtlingsunterkunft Tiegelstraße ist geschockt: Alle Mitglieder hatten Teuta Vitija (3.v.l.) ins Herz geschlossen. Die junge Frau aus dem Kosovo hoffte auf eine Zukunft in Essen. © privat | privat

Die Vitijas wussten, dass ihr Aufenthalt in Deutschland bedroht ist: Der Kosovo gilt als sicheres Herkunftsland, sie waren hier nur geduldet: Ihr Asylantrag war im Juni abgelehnt worden. Damals hatte man sie belehrt, dass ihnen eine Abschiebung drohe und sie diese vermeiden könnten, wenn sie das Land freiwillig verlassen würden.

„Die Vitijas hatten immer Angst vor einer Abschiebung"

Doch Venhar und Teuta Vitija, die seit zwei Jahren hier leben, hatten die Hoffnung, das Blatt zu wenden. „Das ist eine vernünftige Familie, die alle Integrationsbemühungen unternommen hat“, sagt ihre Anwältin Monika Ishar. „Darum habe ich mich für sie an den Petitionsausschuss gewendet.“ Sie habe Arbeitsvertrag und die amtliche Arbeitsgenehmigung für Venhar Vitija beigelegt. Das Verfahren lief.

„Erst am Montag traf in meiner Kanzlei der Brief vom Petitionsausschuss ein, dass man nichts für sie tun könne und ihnen rate, das Land zu verlassen“, sagt Monika Ishar. Doch es blieb nicht genug Zeit, die Familie zu erreichen und eine Ausreise vorzubereiten: Keine 24 Stunden später stürmte schon die Polizei in ihr Zimmer. „Die Vitijas hatten immer Angst vor einer Abschiebung, aber just an diesem Dienstag hatten sie um 8 Uhr einen Termin in der Ausländerbehörde, um ihre Duldung zu verlängern.“ Sie fühlten sich also vorerst sicher.

Familie Vitija habe „jeden Tag“ mit der Abschiebung rechnen müssen

Die Terminvereinbarung habe es gar nicht gegeben, widerspricht die Stadt. Im übrigen würden Abschiebungen „grundsätzlich nicht vorab angekündigt“. Familie Vitija habe ohnehin „jeden Tag“ damit rechnen müssen, abgeschoben zu werden.

Monika Ishar bestreitet nicht, dass das so rechtens ist. Ein so rabiates Vorgehen habe sie aber noch nie erlebt: „Wenn man der Familie ermöglicht hätte, freiwillig auszureisen, hätte Venhar Vitija ein Arbeitsvisum beantragen und ganz offiziell wieder einreisen können. Durch die Abschiebung dürfen sie nun aber 30 Monate lang nicht herkommen.“ Ohne Not habe man ihnen eine reelle Chance auf eine Zukunft in Essen genommen. „Eltern und Kinder sind jetzt traumatisiert, zumal sie mit diesem Überfallkommando abgeholt wurden.“

Abschiedsfest für Kinder, die ausreisen müssen

Das empört auch Diakon Winfried Rottenecker, der sich im Nordviertel um Flüchtlinge kümmert: „Wenn sonst Familien ausreisen, organisieren wir für die Kinder ein Abschiedsfest mit den Mitschülern.“ Wenige Tage vor Weihnachten eine Familie so rauszuwerfen, sei unfassbar.

„Andere Kinder bekommen jetzt Geschenke, die beiden durften nicht mal ihr Spielzeug oder ihre Winterkleidung mitnehmen.“ Er sei bestürzt, zumal die Vitijas oft beim Seniorencafé oder in der Kleiderkammer der Gemeinde angepackt hätten.

Anpacken wollen nun auch die Ehrenamtlichen, verspricht Angela Offermann: „Ich habe mit Teuta telefoniert, sie ist aufgelöst: Sie stehen da vor dem Nichts, müssen bei Verwandten Unterschlupf finden. Nun bringen wir ihnen mit der Caritas-Flüchtlingshilfe ihr Hab und Gut nach Pristina – und Kleiderspenden für die Bevölkerung dort.“