Drei Tage nach dem überraschenden Aus für die Bündnis-Gespräche zwischen SPD und Grünen wachsen Zweifel, ob wirklich inhaltliche Gründe die wesentliche Rolle für das Scheitern spielten. Wir dokumentieren Auszüge des bisher geheimgehaltenen Entwurf des Kooperationsvertrages.
Aus dem Vertrag, dessen erste 20 Seiten bereits von beiden Seiten genehmigt waren, geht hervor, dass SPD und Grüne viele wesentliche Inhalte ihrer Wahlprogramme für die nächsten fünf Jahre festgezurrt hatten.
Uneinigkeit in Personalfragen
In vielen Positionen wird die Handschrift der Grünen sichtbar: Stopp der A52-Pläne, Aus für den Flughafen, Ausbau des Nahverkehrs, mehr Radwege, Erhalt der Frischluftschneisen, kein Ausbau der Parkplätze in der Innenstadt, keine Kürzung bei der alternativen Kulturszene, Förderung der Gesamtschul-Oberstufen.
Offensichtlich gaben die Personalfragen um die Dezernate den Ausschlag: Die Grünen pochten auf künftig zwei statt bisher einen Dezernenten, die SPD wollte dies nicht zulassen, da sie selbst nur zwei Dezernate besetzen kann. Am Mittwoch haben auch Fraktion und Unterbezirk der SPD den Abbruch der Gespräche einstimmig abgesegnet.
„Wir werden es nun mit wechselnden Mehrheiten versuchen”, sagte SPD-Chef Dieter Hilser. Erste Probe: Die Rücknahme des Schließungsbeschlusses für das Freibad Hesse soll Ende November mit der FDP und den Linken geschafft werden.
In letzter Minute war das geplante rot-grüne Bündnis für die Stadt Essen nach wochenlangen Verhandlungen geplatzt - vor allem wegen Fragen rund um Zuschnitt und Parteibuch-Besetzung von zwei Dezernaten sowie laut Grünen auch wegen offener Finanzierungsfragen.
Geld für Familien, Kürzung bei Kultur
Inhaltlich waren sich Grüne und SPD nach gemeinsamen Angaben in vielen Punkten einig. Das Sport- und Bäderkonzept war nach SPD-Aussagen auch schon ausverhandelt, aber noch nicht offiziell notiert. Die WAZ dokumentiert Auszüge aus dem bisher geheim gehaltenen mit beiden Seiten abgestimmten 20-seitigen Entwurf der rot-grünen Kooperationsvereinbarung mit dem Titel „Perspektiven und Stabilität für Essen“.
Finanzen: „Essen befindet sich in einer dramatischen finanziellen Schieflage. Beide Parteien verpflichten sich, die Zukunft unserer Stadt nach sozial ausgewogenen und ökologisch verantwortlichen Kriterien zu gestalten. Angesichts der finanziellen und demografischen Voraussetzungen werden die SPD und Grüne die Freizeitinfrastruktur den Bedürfnissen der Bürger anpassen.”
Innenstadt: „Wir werden die Verwaltung beauftragen im Jahr 2010 einen Masterplan Innenstadt auszuarbeiten. Dieser muss eine Konzeption zur Aufwertung und Öffnung der City beinhalten. Der Rückbau der Eisenbahnbrücken in der nördlichen Innenstadt wird mitgeplant. Brückenwiderlager sollten erhalten bleiben, um die stillgelegten Rheinischen Bahntrassen durchgehend als Radwege nutzen zu können. Grundsätzlich sind wir zu weiteren Hochhaus-Bauten im Umfeld des Hauptbahnhofes bereit.”
Wohnen: „Wir wollen .... zum Beispiel autofreie Wohngebiete, Solarsiedlungen oder soziale Modelle wie das Mehrgenerationenwohnen” prüfen. „Für den Bereich Werden - Projekt Grüne Harfe wird es in dieser Ratsperiode keine Bebauung am Ort geben. Am Schmachtenberg (Kettwig) wird keine Bebauung stattfinden. Das Projekt Ruhrpromenade in Steele wird insofern nicht weiter verfolgt, als die Fällung der Uferbäume unterbleibt. Der Passivhausstandard sollte als Bedingung beim Verkauf städtischer Baugrundstücke unterlegt werden. Wir werden bei bei allen Neubauten erneuerbare Energiequellen nutzen. Bei allen Planungen wird darauf geachtet, dass vorhandene Frischluftschneisen erhalten bleiben.”
Verkehr: „Wir müssen die Belastungen durch motorisierten Verkehr reduzieren. Wir werden ein Gesamtverkehrskonzept für die Stadt, vernetzt mit den Nachbarkommunen, konzipieren. Schwerpunkte sind die Optimierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) hier insbesondere der Fuß- und Radverkehr. Die Tempo-30-Zonen werden erweitert. Die bisherigen Ausbaupläne für die A 52 sowie die A 535 lehnen wir ab. Wir wollen keine weitere Öffnung der Innenstadt für Pkw. Die Zahl der Stellplätze in der Innenstadt wird nicht weiter erhöht.”
Nahverkehr: Der ÖPNV muss deutlich an Attraktivität gewinnen. Oberste Priorität hat für uns hat die Beschleunigung der Steeler Straßenbahnstrecke. Die Straßenbahntrasse zum Berthold-Beitz-Boulevard hat zweite Priorität, wenn eine Zuschussfinanzierung gesichert ist. Eine Direktbusverbindung Borbeck-Zollverein-Nienhausen wird geprüft. Geprüft wird, ob die 105 bis nach Oberhausen verlängert werden kann. ”
Flughafen: Zusätzliche Fluglärm-Messstationen werden auf Essener Gebiet eingerichtet. Der Flughafen Essen/Mülheim soll geschlossen werden.
Umwelt: Messwerte (Feinstaub, Wasserqualität, Emissionen etc.) werden zukünftig über ein Internetportal der Stadt möglichst tagesaktuell zugänglich gemacht. Die sogenannte Pflegestufe 0 bei öffentlichem Grün werden wir wieder aufheben. Wir werden ein Feinstaub- und Lärmkataster erstellen lassen, das kleinräumig über die Belastungen Aufschluss gibt. Wir werden eine Bestandsaufnahme der Abwassereinleitungen machen, um ein Kataster für direkte und indirekte Einleiter zu erstellen. Wir werden eine Klimaagentur ins Leben rufen, die mehr ist als eine Energieberatung. Die Voßgätters Mühle in Borbeck soll für NaBu und NaJu erhalten werden.”
Schule: „Eine wesentliche Voraussetzung für das Erreichen qualifizierter Schulabschlüsse ist der sichere Umgang mit der deutschen Sprache. SPD und Grüne wollen die bestehenden (Sprachförderungs-)Angebote ausbauen. Wir wollen, dass alle Essener Grundschulen Ganztagsschulen werden. Grundschulen sollen mindestens stabil zweizügig sein. Jeder Stadtteil hat - bei hinreichender SchülerInnenzahl - einen Anspruch auf eigenständige Gemeinschaftsgrundschule. Im Bereich der weiterführenden Schulen wollen wir insbesondere die Oberstufen an den Gesamtschulen stärken. Unser Ziel ist, dass alle Grundschülerinnen und Grundschüler in Essen ein ausgewogenes und gesundes kostenfreies Mittagessen erhalten.” Familien mit geringem Einkommen sollen keinen Eigenanteil für Schulbücher mehr zahlen müssen.”
Kindergarten: „SPD und Grüne unterstützen Initiativen zu einem beitragsfreien Kindergartenbesuch, Bund und Land müssen ihren Beitrag dazu leisten.” U3-Plätze sollen vornehmlich als Ganztagsplätze weiter ausgebaut werden.
Jugendarbeit: „Um die Vielfalt der Angebote in der Jugendarbeit zu stärken wollen wir zusätzliche Mittel bereitstellen. Wir werden den Beschluss, ein Jugendparlament einzurichten, umsetzen. Wir wollen in den Weststadthallen eine Jugendeinrichtung etablieren mit dem Schwerpunkt Jugendkultur und Musik, sowie dem Bereich Medien.”
Arbeitslose: „Zur Unterstützung von ALG II-EmpfängerInnen wollen wir eine unabhängige Ombudsstelle einrichten. Wir wollen die Zahl der Umzüge in Essen aufgrund von zu hohen Mietkosten weiterhin in der Zahl so gering wie möglich halten.”
Integration: „Integration muss zur Chefsache werden. SPD und Grüne benennen einen Dezernenten bzw. eine Dezernentin für Integration. Essen braucht eine moderne Integrationsbehörde. Wir werden deshalb schrittweise alle Kompetenzen der verschiedenen Bereiche der Stadtverwaltung im Feld ,Zuwanderung und Integration' unter dem Dach einer Behörde bündeln. Nach §27 Gemeindeordnung werden wir einen Integrationsrat einrichten. Wir wollen eine kommunale Beratungseinrichtung für Flüchtlingsfragen schaffen.”
Soziales: „Wir wollen die Heimaufsicht personell stärken. Wir wollen dass die städtischen Gebäude bis zum Ende der Ratsperiode weitestgehend barrierefrei sind. SPD und GRÜNE wollen die ärztliche Versorgung im Essener Norden zu verbessern. Wir wollen eine Anti-Diskriminierungsstelle einrichten.
Strich: „SPD und Grüne sind sich einig, dass der jetzt gefundene Standort am alten Kirmesplatz beibehalten werden soll.”
Sauberkeit: „Zur Stärkung der öffentlichen Sicherheit setzen sich SPD und Grüne für eine stärkere Präsenz von öffentlichen Ordnungskräften auf den Straßen in der Innenstadt und den Stadtteilen ein. SPD und Grüne wollen generell die Sauberkeit auf den Hauptstraßen und in den Haupteinkaufsbereichen verbessern. Eine Verstärkung öffentlicher Reinigungsintervalle kann mit zusätzlichen Gebühren für die Menschen der Stadt verbunden sein.”
Kultur: „Einsparungen im Kulturbereich sind vornehmlich da vorzunehmen, wo die höchsten Ausgaben liegen. Es soll keine Kürzungen im Etat der freien Träger geben. Die Zeche Carl ist als soziokulturellen Zentrums zu erhalten. Kostenloser Eintritt für Kinder und Jugendliche in die Essener Museen. Bibliotheken: Etat sichern, Ausbau des Angebotes für Kinder.”