Essen. Der Mann, der die tödliche Libanesen-Fehde in der Essener City ausgelöst haben soll, ist vom Schwurgericht freigesprochen worden.

  • Gericht urteilt: Notwehr. Es stehe nicht fest, dass Angeklagter Belal A. der Angreifer war
  • Staatsanwältin hatte vier Jahre Haft wegen versuchten Totschlags gefordert
  • Richter: "Es steht ernsthaft im Raum, dass der Nebenkläger der Angreifer war"

Als Auslöser der tödlichen Libanesen-Fehde am 9. April in der Essener City hatte Belal A. (30) gegolten, weil er seinem Onkel in der Limbecker Straße lebensgefährliche Messerstiche versetzt hatte. Doch das lässt sich wohl nicht mehr aufrechterhalten. Denn das Schwurgericht sprach ihn am Freitag vom Vorwurf des versuchten Totschlags frei, sprach von Notwehr.

Die Gewalt auf offener Straße hatte Anfang April die Stadt erschüttert. Nachdem der Onkel Abdulhamid M. (44) mittags niedergestochen worden war, sollen zwei seiner Brüder und sein Sohn abends auf der Friedrich-Ebert-Straße einen 21-Jährigen aus dem Familienteil von Belal A. mit mehreren Schüssen niedergestreckt haben. Das Opfer starb zwei Monate später im Krankenhaus, laut Staatsanwaltschaft an den Folgen der Schüsse. Die mutmaßlichen Schützen müssen sich seit dem 6. Oktober vor einer anderen Kammer des Landgerichts verantworten.

Kein Wort zur Vorgeschichte der gewalttätigen Auseinandersetzung

Vor dem Schuhgeschäft an der Limbecker Straße hatte Belal A. den 44-Jährigen mittags mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt.
Vor dem Schuhgeschäft an der Limbecker Straße hatte Belal A. den 44-Jährigen mittags mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt. © KDT-TV

Fraglich ist, ob der Freispruch innerhalb des verfeindeten Clans jetzt unbeantwortet bleibt. Aber mit diesen Überlegungen hielt sich Schwurgerichtsvorsitzender Andreas Labentz in der Urteilsbegründung nicht auf.

Kein Wort gab es auch zur Vorgeschichte um den angeblichen Streit wegen der Ehefrau von Belal A., die dem Onkel ebenso angeblich nicht gepasst haben soll. Labentz brachte die Kernfrage des Prozesses auf den Punkt: „Wer ist der Angreifer, und wer ist der Verteidiger?“ Stichverletzungen, wenn auch unterschiedlich schwere, hatten beide, der Angeklagte Belal A. und sein Onkel, der Nebenkläger Abdulhamid M..

Staatsanwältin forderte vier Jahre Haft wegen Totschlags

Die Anklage hatte sich festgelegt und Belal A. als den Mann gesehen, der die ersten Messerstiche gesetzt hatte. Staatsanwältin Birgit Jürgens blieb dabei auch in ihrem Plädoyer, forderte vier Jahre Haft wegen versuchten Totschlags. Rechtsanwalt Jörg Pelz, der Abdulhamid M. in der Nebenklage vertrat, forderte ebenfalls die Verurteilung von Bilal A..

Das Gericht schloss sich aber dem Antrag von Verteidiger Marc Grünebaum an, der einen Frei­spruch für Belal A. verlangte.

Die Tatorte der Libanesen-Fehde am 9. April in der Essener City.
Die Tatorte der Libanesen-Fehde am 9. April in der Essener City.

Das Gericht erinnerte daran, dass es gegen den Angeklagten nur eine einzige belastende Aussage gebe. Denn nur der Nebenkläger, also das Opfer laut Anklage, habe behauptet, dass Belal A. der Angreifer gewesen sei. Die Aussage des Nebenklägers sei aber nicht ausreichend.

Richter Andreas Labentz: Nebenkläger „sagte nicht die Wahrheit“

Labentz: „Er sagte nicht die Wahrheit.“ So habe er nichts von einem anfangs verbalen Streit gesagt, den neutrale Zeugen geschildert hatten. Auch habe er bei der Polizei Angaben gemacht, die nicht zur Aussage vor Gericht gepasst hätten. Und noch ein Punkt, der aus Sicht des Gerichtes gegen den Nebenkläger Abdulhamid M. sprach: „Auf Vorhalte des Gerichtes reagierte er ausweichend und gab keine klaren Antworten.“

So stehe eben nicht fest, dass der Angeklagte Belal A. der Angreifer war, deshalb müsse das Gericht von Notwehr ausgehen. Labentz ging sogar einen Schritt weiter und rückte Abdulhamid in die Position des Schuldigen: „Es steht ernsthaft im Raum, dass der Nebenkläger der Angreifer war.“

>> ANGEKLAGTER WILL GAR KEIN LIBANESE SEIN

Es geht zwar um Streit in einer libanesischen Familie, der Angeklagte Belal A., der erst vor vier Jahren durch Heirat nach Essen kam, wehrt das aber ab: „Ich bin kein kurdischer Libanese. Ich bin Syrer.“

Rechtskräftig ist der Freispruch noch nicht. Die Staatsanwaltschaft, aber auch der Nebenkläger haben die Möglichkeit, sich beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe mit einer Revision zu beschweren.