Essen. . Regisseur Volker Lösch nimmt den Medienmissbrauch von rechts ins Visier. Im Grillo-Theater verwandelt er Shakespeares „Othello“ in „Das Prinzip Jago“
Die Bühne wird zum Fernsehstudio mit Greenscreen-Technik, modernem Moderatorentisch und Bildschirm für Liveschalten. Journalisten laufen mit Laptops und Smartphones umher. Bilder behaupten gewalttätige Ausschreitungen zwischen Polizei und Ausländern in Essen. Regisseur Volker Lösch („Die Odyssee“) verfolgt Proben im Grillo-Theater. Inszenierungen in Wien, Dresden, Bonn und Mannheim gegen den Rechtsruck, gegen die Asylpolitik, gegen die Ausgrenzung von Randgruppen hat er hinter sich. Seit Februar macht er parallel dazu in einem Textkollektiv aus „Othello“ „Das Prinzip Jago“. Dagmar Schwalm sprach mit dem 52-Jährigen über das neue Stück und seinen unermüdlichen politischen Einsatz.
Herr Lösch, Sie waren in der vergangenen Spielzeit äußerst produktiv. Wie geht es Ihnen dabei?
Volker Lösch: Der Verschleiß ist recht groß. Das hat zu tun mit wenig Ruhephasen, aber auch mit der angespannten gesellschaftlichen Situation. Es tut sich derzeit sehr viel, und ich möchte natürlich möglichst viele der gesellschaftlichen Vorgänge im Theater spiegeln. Dabei machen wir oft die Erfahrung, dass das Theater zu langsam ist. Der Planungsvorlauf ist sehr lang, und man muss sehr sorgfältig arbeiten. Deshalb arbeite ich auch außerhalb des Theaters politisch, da kann man sich spontaner, unmittelbarer und direkter einbringen.
Ihr Markenzeichen auf der Bühne sind Bürgerchöre, mit denen Sie Randgruppen eine Stimme und althergebrachten Stoffen Aktualität geben. Wie ist „Das Prinzip Jago“ entstanden?
Lösch: Es gibt in dieser Arbeit keine Bürgerchöre, es spielen keine Mitwirkenden von außen mit, es ist eine Produktion ausschließlich mit Mitgliedern des Ensembles. Wir haben uns mit „Othello“ wegen seiner Ausgrenzungsthematik beschäftigt und gemerkt, dass wir das Stück nicht einfach aktualisieren können. Um relevante Anbindungen an die derzeitige politische Situation zu schaffen, haben wir es auf Basis seiner Dramaturgie neu erfunden. Beim szenischen Schreiben haben wir nach dem Prinzip des „Writers Rooms“ gearbeitet, nach dem Vorbild US-amerikanischer Fernsehserien. Mit den Autoren Oliver Schmaering und Ulf Schmidt entstand so das Stück.
Was erzählen Sie mit dem Stück?
Lösch: In der Story geht es um Medienalltag, die Zwänge, denen Journalisten ausgesetzt sind, und den Rechtsruck der Mitte. Wir erzählen, wie ein Fernsehsender von rechts unterwandert wird. Im Umfeld der Produktion haben wir in Essen mit Geflüchteten, sogenannten „besorgten Bürgern“ und Menschen, die sich als „links“ bezeichnen, Gespräche geführt, aus denen auch Ausschnitte zu sehen sein werden.
Was ist übrig geblieben von Shakespeares Tragödie?
Lösch: Die dramaturgische Struktur ist geblieben. Jago ist bei uns ein Journalist, der sich mit seinem destruktiven Charakter bei den Rechten größtmöglich entfaltet. Seine Nichtbeförderung wird zum Auslöser für eine medial gesteuerte Intrige, die den links gerichteten Chefredakteur (Othello) und sein Umfeld (Desdemona) vernichtet. Wo bei Shakespeare das Taschentuch Auslöser für den Eifersuchtswahn Othellos ist, arbeiten wir mit dem Gerücht und seiner medialen Verbreitung: ein tödliches Mittel.
Halten Sie das Szenario des Stückes für wahrscheinlich?
Lösch: Es geht darum, die Gefahr von rechts nicht zu unterschätzen. Das wiederum hat mit unserem System zu tun: Wenn wir über die großen Themen wie Umverteilung von Reichtum, soziale Sicherung im Alter und Spaltung der Gesellschaft in immer mehr Arme und immer mehr Superreiche nicht vehement angehen, sieht es düster aus. Die Probleme sind hausgemacht: Eine rassistische und fremdenfeindliche Partei wie die AfD hätte gar keinen Zulauf, wenn unsere Gesellschaft nicht so ungerecht und unsolidarisch wäre, und Geflüchtete müssten nicht als Sündenböcke für politisches Versagen herhalten.
Was halten Sie von den Fernsehsendern hierzulande?
Lösch: Die Nachrichtenredaktionen sind vielfach Meinungsmacherbetriebe, werden jetzt auch noch von Twitter und Facebook vor sich hergetrieben: Wer bringt am schnellsten die neueste Nachricht? Darunter leidet seriöser Journalismus. Fernsehnachrichten, diese 15-minütigen Zusammenfassungen, gucke ich gar nicht mehr. Und in Talkshows bekommen die Rechten immer mehr Platz.
Wie informieren Sie sich?
Lösch: Ich lese drei Zeitungen pro Tag und möglichst viele neue Bücher.
Wollen Sie mit Ihrem Stück die Presse attackieren?
Lösch: Ich kenne die Zwänge des Berufs, ich weiß von Zusammenlegungen von Redaktionen, von schmerzhaften Einsparungen. Ich will dem Journalismus pauschal keinen Vorwurf machen, sondern denen, die die Verhältnisse verschlechtern. Seriöser Journalismus braucht Geld. Der digitale Journalismus ist auf dem Vormarsch, aber es gibt keine Alternative zu journalistischer Qualität. Notfalls muss der Staat unsere Zeitungen fördern und ihre Unabhängigkeit sichern - da, wo es sie noch gibt.
Sehen Sie die Pressefreiheit in Deutschland ernsthaft in Gefahr?
Lösch: Die Presse hat hier immer noch die Möglichkeit, unabhängig zu sein. Ich kenne auch weltweit keine bessere Presselandschaft, aber sie erodiert.