Essen. . Zwischen Schreinerei und Dekorationswerkstatt: Ein Besuch in den Werkstätten der Theater und Philharmonie an der Hafenstraße sorgt für Überraschungen.
Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit, wusste ja schon der Wort-Künstler Karl Valentin. Weil aber all die fleißigen Schreiner, Maler und Requisitenbauer, die an den Inszenierungen der Theater und Philharmonie (TuP) meist monatelang mitarbeiten, ihre handwerkliche Kunst nicht in den Vordergrund stellen, sind die Theaterwerkstätten der TuP an der Hafenstraße in Vogelheim ein recht unbekannter Ort. Ein wenig Spürsinn braucht es schon, bis man hinter Lagerhallen und Industrieansiedlungen die von dutzenden Kulissen-Containern umstellte Werkstatt entdeckt.
Aber dann stehen die Leser auch schon mittendrin, im Bühnenbild. Ralf Gehrke, Direktor der Ausstattungs-Werkstätten, ist der Chef über die fußballfeldgroßen Hallen und rund 55 Mitarbeiter. Kurz vor Beginn der Spielzeit ist die Betriebsamkeit noch gedrosselt, aber an der Hafenstraße hat die Bühnensaison längst begonnen. „Pro Jahr entstehen hier Bühnenbilder für 25 Stücke“, erklärt der 53-Jährige, „zeitweise arbeiten wir an sechs bis sieben Produktionen gleichzeitig.“ Schon jetzt schaut Gehrke planerisch in die Spielzeit 2018/19. Doch fürs erste bekommt „Das Prinzip Jago“ erst einmal einen riesigen Nachrichtentisch. „Den können Sie heute Abend in den Nachrichten sehen“, sagt Gehrke. Das raumgreifende, wellenförmige Möbel, mit dem Volker Lösch die Spielzeit im Oktober beginnt, haben sich die Bühnenbauer beim Heute-Studio abgeguckt. „Das Original besteht aus Edelholz, bei uns geht das billiger“, so Gehrke.
Hohe Kunst der Theaterwerkstätten
Das ist schließlich die hohe Kunst der Theaterwerkstätten: Imposante Kulissen auf die Bühne wuchten, die nicht allzu viel kosten, leicht zu bewegen sind und trotzdem enorme Wirkung entfalten. Manchmal zählt da jedes Kilo. „Warum legen Sie dem nicht einfach einen alten Sattel auf“, wird Gehrke beim Anblick des Bühnenpferdes gefragt, das demnächst „Don Quichotte“ durch die Kulissen des Aalto-Balletts trägt „Das wären noch mal 15 Kilo mehr“, erklärt der Werkstätten-Chef die federleichte Schaumstoffauflage. Die zwei Statisten, die das 80 Kilo schwere Gerüst buckeln müssen, plus Reiter, werden es danken.
Überhaupt ist Gewicht ein großes Thema in den Theaterwerkstätten, wo täglich unzählige Bühnenteile bewegt, gebaut und gelagert werden. Grüne, gelbe und rote Punkte weisen die Mitarbeiter auf die Handhabung hin. Die Kulissen der laufenden Produktionen befinden sich in den knapp 100 Containern rund um die Hallen und werden auf Abruf ins Grillo oder Aalto-Theater gefahren.
Selten gespielte oder pausierende Inszenierungen werden in den weitläufigen Werkstatträumen gelagert. „Carmens“ halbierter Mercedes ist hier ebenso geparkt wie die vielen gestapelten Badewannen der Märchenoper „Rusalka“.
Betrieb mit enorm vielen Gewerken
„Alles Plastik“, stellt Martina Walter nach einer Klopfprobe fest. Die Theaterpädagogin ist mit Sohn Jan Philipp Walter gekommen. „Ich hätte nie gedacht, dass man hier so viel Vorratshaltung betreibt“, staunt sie und lacht: „Hier würde ich mich so gerne mal bedienen:“ Auch die zwölfjährige Leona schaut sich interessiert die kunterbunten Kulissenteile des „Nussknacker“ an. Das Ballett wird sie im Herbst mit ihrer Mutter sehen. „Das wird jetzt noch spannender.“
„Tauschen Sie sich eigentlich auch mit anderen Theatern aus?“, will Astrid Maiwald wissen. Gehrke nickt: „Es gibt eine Börse, allerdings sei die Nachfrage nicht allzu rege. Bühnen-Künstler haben halt ihre eigenen Vorstellungen. Um alle Wünsche in Eigenregie erfüllen zu können, ist so eine Theaterwerkstatt ein breit aufgestellter Handwerksbetrieb mit Schreinerei und Maschinenraum, mit Dekorationswerkstatt und Nähmaschinen die auch 19 Meter breite Stoffbahnen, die Prospekte, nähen können. „Über 19 Meter eine gerade Naht zu nähen, ist auch eine Kunst“, lächelt Ralf Gehrke.
Astrid Maiwald ist beeindruckt von der Vielzahl der Berufe, die bei der TuP angeboten werden. „Bilden Sie auch aus?“ Gehrke nickt. „Wenn wir Theatermaler einstellen, dann lassen wir die Leute erst einmal vormalen.“ Viel Talent ist auch beim Beruf des Theaterplastikers gefragt. „Wenn man hier kein dreidimensionales Denken mitbringt, sollte man gar nicht anfangen“, sagt Gehrke, während Teddy Braun an Dachschindeln aus Styropor arbeitet. Federleicht und täuschend echter Bühnenzauber.