Essen. „Einer muss dran glauben!“ heißt das Motto 2016/2017 im Schauspiel Essen. Shakespeare und Brecht werden zeitgemäß befragt. Neuer Gastronomie-Anlauf.
Flüchtlingskrise, Parteienkrise, Medienkrise, Sinnkrise – wo Grenzzäune und Scheuklappen die Sicht aufs Wesentliche manchmal verstellen, geht der Blick nach ganz oben. Religion hat wieder Relevanz. Sogar das Theater spielt mit den zahllosen Deutungsmöglichkeiten, ohnehin steht das Jahr 2017 ja ganz im Zeichen des großen Reformationsjubiläums. „Einer muss dran glauben“ hat das Schauspiel Essen also der Spielzeit 2016/2017 vorangestellt. Das kann man ebenso zuversichtlich wie alarmierend lesen. Auf jeden Fall gibt es Anlass für einen Spielplan, der mit vier Uraufführungen und sieben Inszenierungen das Thema breit beleuchten will, auch wenn die Zahl der Neuproduktionen aufgrund des steigenden städtischen Spardrucks leicht zurückgefahren werden musste. Die Auslastung liegt derzeit bei stabilen 80 Prozent.
Den Auftakt macht eine Uraufführung von Volker Lösch. Nachdem er die Lebenswirklichkeit von Sinti und Roma zuletzt mit Homers „Odyssee“ befragt hat, liefert Shakespeares „Othello“ nun das Rohmaterial einer gewohnt kritischen Gegenwartszuspitzung „Das Prinzip Jago“ macht dabei die Neben- zur Hauptfigur. Der teuflische Verräter von einst kann sich nun aller manipulativen Möglichkeiten modernen Massenmedien bedienen – ein Quoten-, Klick- und Angstschürer-Alptraum, nicht nur für Mohren. Als Weltensuchender und ersehnter Erlöser steht „Parsifal“ seit Jahrhunderten auf der Bühne. In der Inszenierung von Gustav Rueb verschmelzen Richard Wagners Opern-Held und die „Parzifal“-Figur von Tankred Dorst zu einem Stück. Die Live-Musik-Installation liefert der Essener Jazz-Trompeter John-Dennis Renken.
Der Zungenbrecher der Saison
Seit „Jim Knopf“ sind sie ein eingespieltes Team: Regisseurin Anne Spaeter und die Hamburger Kult-Band Tante Polly. Ihre Inszenierung von Michael Endes musikalischer Zauberposse „Satanarchäologenialkohöllische Wunschpunsch“ wird gewiss der Zungenbrecher der Saison und das Lieblingsstück aller Übersechsjährigen.
Bedrohungen anderer Art beschwört Fjodor Dostojewskis Roman „Dämonen“. Hermann Schmidt-Rahmer, zuletzt mit dem Big Data-Projekt erfolgreich, wird dem Stück über russische Revolutionäre und machtpolitische Manipulation gewiss aktuelle Dringlichkeit geben. Zeitlos gut bleibt Brecht. Auf den guten Mensch von Sezuan folgt 2017 das „Leben des Galilei“. Konstanze Lauterbach inszeniert den Diskurs über Wahrheitssuche und Zweifel, Meinungsfreiheit und totalitäre Gebote.
Seine Version von Goethes „Werther“ rockt bis heute die Grillo-Bühne, in der Casa zeigt Karsten Dahlem nun Anthony McCartens Roman „Superhero“. Ein krebskranker 14-Jähriger findet da seine Flucht im Comic. Als Spezialist für lebende Tote hat sich Jörg Buttgereit mit Trash- und Horrorfilmen empfohlen. Mit Christian Lollikes Theaterstück „Die lebenden Toten oder: Monsters of Reality“ prallt die Zombiefiktion nun auf die Grenzen der Festung Europa. AfD und Pegida zum Gruseln. Ein Thema ist auch der Nahost-Konflikt. „Ichglaubeaneineneinzigengott“ heißt das Stück von Stefano Massini, das die Lebenswelten dreier Frauen in Israel und im Gazastreifen zusammenführt. Den russischen Revolte-Punkerinnen „Pussy Riots“ hat Nadja Tolokonniwa ihr Buch gewidmet. Magz Barrawasser inszeniert.
Gute Aussichten gibt es auch für die Grillo-Gastronomie. Berger Bergmann, Geschäftsführer der Theater und Philharmonie, stellte gestern in Aussicht, dass der Betrieb im Herbst wieder anlaufen soll. Derzeit führe man Gespräche mit einem Pächter-Ehepaar.
Schauspiel Essen: Premieren-Übersicht der Spielzeit 2016/2017
- Das Prinzip Jago, Grillo-Theater, Regie: Volker Lösch, Uraufführung 1. Oktober.
- Ichglaubeaneineneinzigengott, Box, Regie: Sascha Flocken, 2. Oktober.
- Parsifal, Grillo, Regie: Gustav Rueb/musikalische Leitung: Erich Schaefer, 22. Oktober.
- Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch, Grillo, Regie: Anne Spaeter, Musik: Dominik Dittrich, 26. November.
- Superhero, Casa, Regie: Karsten Dahlem, 10. Dezember.
- Sophia, der Tod und ich, Grillo, Regie: Tilman Gersch, Uraufführung 3. März.
- Die lebenden Toten oder: Monsters of Reality, Casa, Regie: Jörg Buttgereit, 4. März.
- Umständliche Rettung, Casa, Regie: Thomas Ladwig, Uraufführung 28. April.
- Dämonen, Grillo, Regie: Hermann Schmidt-Rahmer, 29. April.
- Pussy Riots, Regie: Magz Barrawasser, Uraufführung 15. Juni.
- Leben des Galilei, Grillo, Regie: Konstanze Lauterbach, musikalische Leitung: Achim Gieseler, 24. Juni.