Essen. Johannes Schandelle steht zweimal pro Woche in Rüttenscheid an seinem Obst-Stand und fühlt sich für die Essener Wochenmärkte mitverantwortlich.
Johannes Schandelle ist 85, aber er sitzt nicht zu Hause im Sessel wie andere seines Alters. Sein Sessel sind drei aufeinandergestapelte blaue Obstkisten, als Kissen dienen ein paar Schichten Pappen. Neben dieser Konstruktion lehnt eine Krücke, die Schandelle aber nicht nutzt. Er ist hart im Nehmen und immer noch zweimal pro Woche Verkäufer auf dem Markt im Rüttenscheid, wo er einen eigenen Obststand besitzt.
Die Schandelles sind eine Institution in Rüttenscheid. „Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs haben meine Eltern angefangen auf dem Markt zu verkaufen. Schon als kleiner Junge stand ich am gleichen Stand am gleichen Platz“, erzählt er. Mit 20, also vor immerhin 65 Jahren, hat er dann komplett übernommen. Es war nicht immer einfach. An den Bodensee, ja sogar bis nach Italien ist Schandelle gefahren, um exklusive Ware anbieten zu können.
Opfer bringen für die beste Ware
„Natürlich gehe ich heute auch noch selbst nachts um zwei zum Großmarkt, ich will ja die beste Ware bekommen. Man muss eben Opfer bringen.“ Denselben Einsatz erwartet er auch von seinen fünf Kollegen, die ihm beim Verkauf helfen. Sie werden von Schandelle sehr bestimmt kommandiert.
Eine Kundin fragt nach Mirabellen, im Supermarkt hat sie keine mehr gefunden. Er kennt sie, so wie die meisten hier. Er lässt sich gerne Zeit, berät, aber quatscht auch gerne mal über Gott und die Welt. Ohne die Stammkundschaft wäre es schwierig, seinen Stand zu halten. Neue Kunden sieht er nicht mehr so oft, es könnte besser laufen.
Schandelle wuchtet also seinen Körper zu den Mirabellen. Seine Hüfte ist kaputt, man sieht, dass ihn die Bewegung quält. Doch ans Aufhören denkt er nicht: „Solange ich morgens aufstehen kann, fühle ich mich mitverantwortlich auch für den Fortbestand der Wochenmärkte“, sagt er feierlich. Die Kundin wird mit dem obligatorischen „Bis Samstag!“ verabschiedet.
Kampf gegen die Supermärkte
Ein kleiner Windstoß und der Duft nach frischem Obst wird von Fischgeruch überdeckt. Mit Blick auf die anderen Händler meint Schandelle: „Früher war die Zusammenarbeit unter den Händlern viel kameradschaftlicher.“ Auch würden es sich viele der Marktleute zu einfach machen. Schandelle selbst steht seit Jahren bei jedem Wetter auf dem Markt, andere sind da wählerischer. „Die Verlässlichkeit, dass wir jedes Mal hier stehen, ist wichtig. Ohne dieses Vertrauen haben wir keine Chance gegen die Supermärkte.“
Überhaupt die Supermärkte. Sie sind der große - vielleicht übermächtige - Feind von Schandelle. „Früher waren die Märkte die Vollversorgung, heute verstehen wir uns eher als Boutiquen.“ Damit meint er, dass die Qualität hoch und die Beratung individuell und profund sein muss. Einen Masterplan gegen Discounter hat auch Schandelle nicht, aber zumindest eine Idee: Werbung sollte man machen, großflächig in mehreren Medien. „Was wir brauchen um den Markt wieder voran zu bringen, ist ein richtiger Marktmanager.“
In Frintrop hat neulich ein Wochenmarkt neu geöffnet. Zusammen mit der Industrie- und Handelskammer hat eine örtliche Initiative versucht, das Ganze professionell aufzuziehen. Schandelle ist natürlich froh über jeden Wochenmarkt, der sich hält oder neu eröffnet. Mit seiner ganzen Erfahrung meint er aber auch: „Am Anfang läuft es immer gut. Aber dann verkaufen die Händler 14 Tage wenig und sind frustriert.“ Dahinterklemmen, mit vollem Einsatz, sollen sie sich. So wie er.