Essen. Beim Forum d’Avignon reden 300 Gäste in der Philharmonie über Kreativität zwischen Hoffnung und Hype. Dieter Gorny hofft auf Impulse über Essen hinaus.
Das Forum d’Avignon Ruhr lädt einmal im Jahr zur internationalen Kulturkonferenz nach Essen. Nach der Zeche Zollverein und der Nordstadt ist die Essener Philharmonie am 24. und 25. August erstmals Gastgeber. Martina Schürmann sprach mit Ausrichter Dieter Gorny, Geschäftsführer des european centre for creative economy, kurz ecce, über aktuelle Themen.
Herr Gorny, das Forum d‘Avignon ist ein Kind der Kulturhauptstadt. Wofür steht dieses Treffen heute ?
Dieter Gorny: Im Kulturhauptstadt-Jahr haben wir uns ja viel unterhalten über den fast schon modischen Begriff Nachhaltigkeit. Natürlich muss man etwas dafür tun, die Idee in den Köpfen wach zu halten, nicht nur hier, sondern auch in Europa. Ruhr.2010 war für mich so etwas wie ein großes, wichtiges Ereignis, das danach aber weiterzieht – und die Scheinwerfer ziehen mit. Jetzt geht es um die Frage, wie man die Region interessant halten kann. Wir diskutieren deshalb Themen, die nicht nur hier wichtig sind, sondern europaweit.
Das Forum steht unter der Überschrift „Kreativität – Hoffnung oder Hype?“ Für ein Institut, das den Begriff der Kreativwirtschaft erst richtig in Mode gebracht hat, eine fast schon ketzerische Frage.
Gorny: Unser Ansatz ist durchaus, den Begriff einmal kritisch zu hinterfragen. Natürlich kommen in Zeiten der Digitalisierung viele wichtige Impulse aus der Kreativwirtschaft. Aber vielleicht überdehnen wir ja auch den Begriff und erklären Kreativität zum Allheilmittel, zum Schlüssel für alles. Was es nicht sein kann. Es geht schließlich auch um spezifische Fähigkeiten und um Ausbildung. Manche denken vielleicht, dass man nur die richtige Software braucht, und dann sind alle kreativ. Aber dann kommt heraus, dass sich damit alleine keine Supersongs schreiben lassen.
In einer Umfrage der Prognos AG für das Land NRW haben 75 Prozent der befragten Kreativen angegeben, ihren „beruflichen Wunschstandort“ in NRW zu sehen. Trotzdem wandern viele ab.
Gorny: Stimmt. Das Ruhrgebiet ist eine der bestausgebautesten Kulturlandschaften des Landes. Trotzdem haben wir das Problem, dass viele jüngere, gut ausbildete Leute nicht unbedingt hierbleiben wollen. Aber wenn wir schon vom Wandel durch Kultur reden, dann müssen wir uns auch um Arbeits- und Entfaltungsmöglichkeiten kümmern. Da geht es weniger um Ansiedlung von Start-ups als um Milieubildung. Die beeinflusst, wie attraktiv die Stadt für jüngere Menschen und Kreative ist. Das war die Idee der Kreativquartiere.
Geht es nicht auch um Fördermittel? Für einen Großteil der 315.000 Kreativ-Beschäftigten in NRW dürfte doch weiter die Losung gelten: Arm, aber kreativ.
Gorny: Unser Ansatz heißt deshalb: Kultur ist nicht nur das, was der Staat bezahlt. Wir müssen uns auch um die kümmern, die nicht automatisch in den Subventions-Katastern stecken. Dafür hat das Land NRW jetzt ein neues Förderprogramm zur individuellen Förderung von Künstlern und Kreativen aufgelegt. Die ersten 300.000 Euro können noch in diesem Jahr über „ecce“ abgerufen werden.
Was bietet das Programm?
Gorny: Das reicht vom „Aktionstopf“ für kurzfristige Hilfen mit wenigen bürokratischen Hürden bis zur Ausschreibung von Stipendien. In der Essener Nordstadt mit dem Atelierhaus beispielsweise böte sich an, Residenzen für Künstler zu schaffen. Bei der Förderung geht es jedenfalls nicht um das nächste Nachwuchsfestival, sondern um Kontinuität.
Tagung in Essen
„Kreativität – Hoffnung oder Hype?“ heißt am 24./25. August das Thema beim Forum d’Avigon Ruhr in der Philharmonie mit rund 300 Gästen, darunter Holger Volland von der Frankfurter Buchmesse und Philosoph und Buchautor Richard David Precht.
Eröffnet wird das Forum von NRW-Kulturministerin Christina Kampmann. Wirtschaftsminister Garrelt Duin beleuchtet die Rolle von Kreativunternehmen in NRW.
Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung der Essener Nordstadt?
Gorny: Das Quartier profitiert natürlich von der Uni und von investitionsfreudigen Kreativunternehmern wie Reinhard Wiesemann. Solche baulichen Impulse sind wichtig. Der Umbau ist ein langer, intensiver Prozess, der Freiräume schafft. Nur so haben junge Kreative das Gefühl: Hier kann ich mich ausprobieren.
Was ist wichtiger für die Zukunft der Kreativen im Land: mehr Geld oder mehr Raum?
Gorny: Ich wünsche mir noch mehr Bewusstsein für den Prozess und mehr Erkenntnis, dass diese Entwicklung alternativlos ist für die Zukunft unserer Städte. Auch dafür ist das Forum d’Avignon wichtig. Es soll zeigen, dass Veränderung Spaß machen und Kräfte freisetzen kann. Wir widmen Kirchen zu Kulturräumen um und steigen aus der Atomkraft aus, da wäre es doch naiv zu glauben, dass nur in der Kultur alles bleibt wie immer. Wenn man glaubt, die Antworten von morgen primär aus der Kunst von gestern generieren zu müssen, könnte das bald zu wenig sein.