Essen. 15 Tage nach ihrem Bekenntnis, den Lebenslauf gefälscht zu haben, meldet sich Hinz erstmals wieder zu Wort. Und tritt zurück, wenigstens ein bisschen.

  • Nach fast 15 Tage Funkstille eine erste Reaktion auf das Ultimatum – aber kein Mandatsverzicht
  • „Sie weiß sehr genau und ganz bewusst, was sie jetzt tun möchte“, sagt SPD-Chef Thomas Kutschaty
  • Partei fürchtet, dass Hinz aus finanziellen Gründen im Bundestag bleibt - mit sechstelligen Zahlungen

Hinten an der Wand hängt noch ein vergilbter Artikel aus der „Süddeutschen“. Er stammt von Mai 2013, als es für die Sozis anständig was zu feiern gab: 150 Jahre SPD, gute Gelegenheit, mal „die Gesichter der deutschen Sozialdemokratie“ vorzustellen.

Aber wer den Medienauftrieb hier im notdürftig umgeräumten Juso-Büro im zweiten Stockwerk der SPD-Zentrale an der Severinstraße sieht, der ahnt: Im 153. Jahr und vielleicht noch weit darüber hinaus sticht eine Bundestagsabgeordnete aus Essen-Frohnhausen so manches sozialdemokratische Urgestein seit Ferdinand Lassalle an Bekanntheit locker aus.

Es ist Tag 16 in der unglaublichen Affäre Hinz um ein erlogenes Leben und die dazu passende Vita, und die Medienöffentlichkeit scheint von dieser Story immer noch nicht genug zu haben. Ein paar O-Töne hatte Thomas Kutschaty, NRW-Justizminister und erst seit drei Monaten als Parteichef im Amt, an diesem Donnerstag Nachmittag in die Kamera sagen wollen. Am Ende wurde eine stickige überfüllte Pressekonferenz mit zwei Dutzend Journalisten, sieben Kamerateams und Livestream ins Internet daraus.

Zwei Mails ohne sonderliche Genossen-Herzlichkeit

Nichts, was der smarte Kutschaty nicht alleine hätte händeln können, aber demonstrativ stellen sich drei Genossen an seine Seite: Parteivize Karlheinz Endruschat, Bürgermeister Rudolf Jelinek und Fraktionschef Rainer Marschan werden hier und heute nichts sagen, nur dastehen und so klarstellen, dass hier nicht der Parteichef allein auf weiter Flur steht, sondern jene Frau, die von einem Erinnerungsfoto der Jusos an die Bildungsfahrt 2014 nach Berlin in den Saal grinst: Petra Hinz.

Und vielleicht markiert ja dieser Tag den ersten Schritt raus aus dem SPD-Schlamassel, denn geschlagene 14 Tage, 23 Stunden und 13 Minuten nach ihrem Bekenntnis über die Lebens(lauf)-Lüge hat Petra Hinz sich erstmals zu Wort gemeldet: Zwei betont sachliche, andeutungsweise freundliche, aber ohne sonderliche Genossen-Herzlichkeit bestückte Mails, eine an die SPD-Spitze, eine an die SPD ihres Stadtteils, verschickt von ihrem Abgeordneten-Account um 14.18 Uhr. Darin erklärt sie den Rücktritt von all ihren Parteiämtern und -funktionen: Schluss mit dem Vorsitz bei der SPD Frohnhausen, mit Ämtern, Funktionen, Arbeitsgruppen. Auch ihr Aufsichtsrats-Mandat bei einer Wohnungsgesellschaft räumt sie wohl.

Und doch: kein Verzicht aufs Mandat. Noch nicht. „Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich mich öffentlich erklären.“ Aber wann?

Hartz IV als reale Gefahr

Kutschaty ist anzumerken, dass ihn das enttäuscht, er spricht zwar tapfer auch über die „menschliche Dimension“, 26 Sekunden hat er dafür übrig, aber im Kern teilt er doch den unbändigen Zorn der Bürger und Parteifreunde, weshalb er die Gelegenheit nutzt, „auch heute noch mal an die Moral von Petra Hinz zu appellieren“, damit sie ihr Mandat „unverzüglich“ niederlege. Mehr könne die Essener SPD nicht tun. „Wir sind“, sagt er, „bis an die Grenze gegangen.“

Und Petra Hinz, so schwingt mit, tut es noch: Bis zu zehn Verdienstjahre müsste die ungelernte Noch-Abgeordnete nach ihrem Abgang aus dem Bundestag bis zur üppigen Abgeordneten-Rente überbrücken, der Fall in Hartz IV ist für sie nach der letzten Zahlung von Übergangsgeld eine reale Gefahr.

Hinz hat offenbar einen genauen Plan

Groß ist deshalb die Sorge in der SPD, Hinz könnte bis zum bitteren Ende an ihrem Bundestagsmandat festhalten. Immerhin winkten bis zum Schluss der Legislaturperiode im September 2017 bis zu 180.000 Euro an Abgeordneten-Entschädigung, Büropauschalen und ein nochmals verlängertes Übergangsgeld.

Ob sie es auf die Spitze treibt? Die SPD-Bundestagsfraktion ist alarmiert, hat den Fall Hinz auf Platz 1 der Tagesordnung für die erste Sitzung nach der Sommerpause gesetzt. Druck aus Berlin also, wo man in Essen mit dem Latein am Ende ist. Und über allem dieser Verdacht, dass Hinz einen Plan verfolgt: „Ich gehe davon aus“, sagt Thomas Kutschaty bitter, „sie weiß sehr genau und ganz bewusst, was sie jetzt tun möchte.“

Und was nicht.