Essen. Der Skandal lässt das angeknackste Vertrauen vieler Bürger weiter schwinden. Sollte Hinz ihr Mandat behalten, könnten die Folgen dramatisch sein.

  • Die Essener SPD muss befürchten, dass der Fall Hinz das Vertrauen der Bürger weiter schwinden lässt
  • Solange Hinz ihr Bundestagsmandat behält, ist eine Befriedung unwahrscheinlich
  • Sollte die Abgeordnete bis Herbst 2017 im Bundestag bleiben, winken ihr fast 200 000 Euro

Das Drama um Petra Hinz, es scheint kein Ende zu nehmen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete mit dem gefälschten Lebenslauf ist angeblich seit Tagen in stationärer Behandlung, über die Lage aber wohl im Bilde, und sie kann auch E-Mails schreiben. Was weiterhin fehlt, ist das Entscheidende: der sofortige Verzicht auf ihr Mandat. Längst nicht mehr nur ihre Essener Kreispartei sehnt diesen Schritt herbei, den der Essener SPD-Chef und NRW-Justizminister Thomas Kutschaty am Donnerstag zum wiederholten Mal „überfällig“ nannte.

Kutschatys gewohnt kontrollierter Auftritt konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die SPD – zumal in Essen – unter massivem Druck steht. Denn das Verhalten der 54-jährigen Abgeordneten scheint bei vielen Bürgern den letzten Rest Politik-Vertrauen aufgebraucht zu haben. „Egal, wo man hingeht, man wird als erstes darauf angesprochen“, seufzt Ratsherr Udo Karnath, Mitglied im Vorstand des Ortsvereins Frohnhausen, dessen Vorsitz Hinz am Donnerstag niederlegte. Immerhin.

Mediale Dauerpräsenz ist beachtlich

Solange Petra Hinz aber weiter ihre Bundestags-Diäten bezieht, wird eine Befriedung kaum eintreten, zumal die mediale Dauerpräsenz des Falles beachtlich ist. Die verhinderte Juristin gilt mittlerweile bundesweit als Inbegriff des lügnerischen und raffgierigen Politikers. „Denkt Frau Hinz nicht an ihre SPD, die mal wieder im schlechten Licht steht, oder an ihre Wähler, die ihr vertraut haben und jetzt sehen müssen, wie ihr Vertrauen missbraucht wird?“, fragt WAZ-Leserin Ingrid Böhm fassungslos.

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Vertrauensverlust und Bürger-Wut machen auch der Bundes-SPD Sorge. Kutschaty musste am Donnerstag erneut seine Hilflosigkeit offenbaren, wirkte aber fast erleichtert, als er sagte, SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann wolle sich des Falles annehmen. „Der Ball liegt jetzt in diesem Feld.“ An dem staatsrechtlichen Grundsatz des freien Mandats, das nicht aberkannt werden kann, ist selbstredend auch Oppermann gebunden.

Die Essener SPD sei jedenfalls mit ihren Möglichkeiten am Ende, so Kutschaty. Für die Leidensfähigkeit gilt das hoffentlich nicht. Denn was der Fall für die Essener SPD bedeutet, wenn im nächsten Jahr zwei wichtige Wahlen anstehen, ist noch gar nicht abzusehen.

Bürger reagieren auf nicht abreißenden Skandale und Affären

Rechnet man die unzähligen SPD-kritischen Äußerungen in den sozialen Netzwerken, aber auch die Mails und Briefe an Essener Medien hoch, dann könnte ein Desaster drohen. Hinzu kommen ja weitere Unwägbarkeiten wie das Abschneiden der AfD, die im sozial teilweise abgehängten Essener Norden mit dem Ex-Sozialdemokraten Guido Reil voraussichtlich einen für die SPD unangenehmen Kandidaten aufbieten wird.

Wie sensibel die Essener Bürger auf die nicht abreißenden Skandale und Affären in der SPD reagieren, hat Ende September 2015 die Stichwahl für das Amt des Oberbürgermeisters gezeigt, als Amtsinhaber Reinhard Paß mit nur 37,4 Prozent krachend gegen den CDU-Herausforderer und heutigen OB Thomas Kufen verlor. Vorausgegangen war eine innerparteiliche Schlammschlacht, die Paß durch eine unglückliche Amtsführung allerdings mitzuverantworten hatte.

Als Dauerproblem erwies sich vor allem die Selbstbedienungsmentalität bei den Entsorgungsbetrieben, die Paß erst gar nicht, dann allenfalls halbherzig bekämpfte. Der Fall Hinz, so unvergleichbar er sein mag, wird von vielen Bürgern als letzter Beweis betrachtet, dass die Essener SPD von Grund auf verrottet ist, was in dieser Krassheit natürlich ungerecht ist. Aber was nützt das, wenn es in den Hinterköpfen hängenbleibt?

Verheerender Eindruck auch durch die Partei-Granden

Zum verheerenden Eindruck passt, dass Parteigranden vergangener Tage öffentlich ihre alten Schlachten schlugen. Wenn Ex-Fraktionschef Willi Nowack höhnend über den Hinz-Protegé Otto Reschke herzieht, ihn als Mitwisser in Bezug auf Hinz’ Lebenslügen darstellt und den Ex-Bundestagsabgeordneten kaum verhohlen der Lüge bezichtigt, wenn Reschke nun plötzlich eine Distanz zu Hinz aufbaut, an die sich kein anderer erinnern kann – wie mag all dies auf treue SPD-Wähler wirken, die es auch in Essen immer noch gibt?

Was Hinz umtreibt, ist dagegen ziemlich klar. Jeder Monat ohne Rückzug bringt bares Geld. Hält sie bis zum Ende der Legislaturperiode im Herbst 2017 durch, wären es fast 200.000 Euro. Und das Übergangsgeld kommt ohnehin noch oben drauf. Viel Holz für eine 54-Jährige ohne Beruf, deren weiteren Werdegang der Alt-Liberale Burkhard Hirsch jüngst in einem Radio-Interview so beschrieb: „Die Frau ist Hartz IV, die ist vorbei.“