Essen. . Guido Reil, Karnaper Ratsherr und Symbolfigur der Integrations-Kritiker in der SPD, kann mit deren „grundsätzlichen Kurs nicht mehr leben“. Das Ratsmandat will er behalten.

Er war intern ihr größter Kritiker, polternd, forsch und für manchen auch verletzend – ein Sozialdemokrat, der die Integrations-Politik nicht nur der hiesigen SPD für völlig realitätsfern hält, der in Essen „Wir schaffen das nicht“ mit den Flüchtlingen sagte und damit bundesweit Gehör fand.

Dass seine Partei ihren Kurs nicht ändern will und seiner Position bei den jüngsten Vorstandswahlen eine klare Abfuhr erteilte, kommentierte Reil am vergangenen Samstag noch mit Spott: „Wir tanzen auf der Titanic“, sagte der Ratsherr da der NRZ.

Er geht jetzt lieber von Bord: Auf der Vorstandssitzung seiner Genossen in Karnap erklärte der 46-Jährige am Mittwochabend, dass er mit sofortiger Wirkung aus der Partei austrete. Im Zuge der jüngsten Ereignisse, so tat er über das soziale Netzwerk Facebook kund, habe er sich eingestehen müssen, „dass ich mit dem grundsätzlichen Kurs der SPD nicht mehr leben kann.“

Keine Partei der Arbeiter mehr

„Wir waren mal die Partei der sozialen Gerechtigkeit“, klagt Reil dort, „aber im realen Handeln merke ich davon leider nichts mehr. Wir waren die Partei der Arbeiter, ihre Interessen vertreten wir aber gar nicht mehr.“ Seit Jahren, so der Bergmann und Betriebsrat, gelinge es den Genossen kaum noch, sich in die Situation des einfachen Arbeiters hineinzuversetzen. „In der Flüchtlingspolitik haben wir uns endgültig und völlig von der Realität verabschiedet.“ Und nur aus strategischen Gründen werde die alte Linie stur beibehalten.

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Der Schritt raus aus der SPD sei ihm nach 26 Jahren Parteizugehörigkeit nicht leicht gefallen, sagt Reil, der in seinem Heimatstadtteil Karnap bei der Kommunalwahl 2014 mit rund 40 Prozent der Stimmen direkt ins Stadtparlament gewählt wurde. Den Sitz dort will er trotz seines Abschieds von der SPD behalten, will „weiter intensiv an meinen sozialen Projekten arbeiten“, wie er am Mittwochabend betonte. Und will dabei „ganz eng mit den Bürgerinitiativen im Essener Norden zusammenarbeiten.“

Dass die Sozialdemokraten im Stadtparlament damit erneut einen Sitz verlieren, ärgert diese selbstredend: „Ich finde, er muss das Ratsmandat zurückgeben“, sagte SPD-Fraktionschef Rainer Marschan am Mittwoch. Er bescheinigt Reil, sich „zu sehr von der Meinung der Sozialdemokratie abgewandt“ zu haben: „Ich finde das schade, weil ich ihn immer so eingeschätzt habe, dass er ein Sozialdemokrat der alten Klasse wäre.“

Kutschaty: „Was er anstoßen wollte, ist doch gelungen, das ist doch ein Erfolg“

Wie Marschan verwies auch der frisch gekürte SPD-Vorsitzende Thomas Kutschaty am Mittwochabend darauf, dass Guido Reil den jüngsten Asyl-Kompromiss im Rat doch mitgetragen habe: „Was er anstoßen wollte, ist doch gelungen, das ist doch ein Erfolg“, betonte Kutschaty gegenüber der NRZ: Es gebe weniger und kleinere Flüchtlingsunterkünfte im Norden als ursprünglich geplant. Ansonsten habe Reil „nichts konkret benannt, was man hätte anders machen können.“

Mitarbeiter von Abgeordneten aus dem Vorstand herauszuhalten, so wie Reil und andere dies planten, sei jedenfalls keine Antwort auf die offenen Fragen in Sachen Asyl: „Ich nehme das zur Kenntnis, dass er offensichtlich auf einem anderen politischen Kurs steuert.“

Ob Reils Abgang ein Alleingang bleibt oder andere Sozialdemokraten seinem Beispiel folgen – die Genossen mögen da nicht spekulieren. Dass andere Mandatsträger der SPD ebenfalls den Rücken kehren wollen, dafür hat Fraktionschef Rainer Marschan „keine Signale“.