Essen. SPD-Ratsherr Guido Reil über die Lage in Karnap, seine Skepsis gegenüber arabischstämmigen Flüchtlingen und der verdrucksten Debatte darüber.
Der Essener SPD-Ratsherr Guido Reil spricht im Interview über die Lage rund um das große Zeltdorf für Flüchtlinge in Karnap, seine Skepsis gegenüber arabischstämmigen Flüchtlingen und die verdruckste Debatte darüber.
Herr Reil, Sie sind in Karnap fest verwurzelt und dort politisch aktiv. Wie ist die Stimmung rund um das nicht unumstrittene Zeltdorf?
Guido Reil: Anfangs war viel Wohlwollen und gute Stimmung auf beiden Seiten, inzwischen kippt es.
Wie äußert sich das?
Reil: Es gibt Ärger über Verschmutzungen, Lärmbelästigungen und eine anmaßende Haltung der Flüchtlinge. Die Verunsicherung in Karnap ist groß. Zurzeit sind Häuser im Stadtteil nach meiner Wahrnehmung im Wert gesunken und schwer verkäuflich, die Wirtschaftsförderungs-GmbH musste für das Gewerbegebiet Carnaperhof eine fest verabredete Ansiedlung wieder abschreiben - mit ausdrücklichem Verweis auf das Zeltdorf. Ich befürchte Schlimmes, wenn die Ungeduld unter den Flüchtlingen dort weiter wachsen sollte.
"Die Flüchtlinge leben überwiegend von Hartz IV"
Die Zeltdörfer sollen ja irgendwann wieder weg.
Reil: Aber dann beginnt erst die eigentliche Zuwanderung. Der Essener Norden wird das nicht verkraften. Der Migrantenanteil ist jetzt schon bei 40 Prozent, und alle Erfahrungen sprechen dafür, dass Essen wie in den 1990er Jahren erneut vorrangiges Ziel für Flüchtlinge wird, die eine Aufenthaltsgenehmigung haben. Dann suchen sie verständlicherweise die Nähe ihrer Landsleute, die schon hier sind. Dieser Zuzug von Syrern nach Essen hat bereits begonnen, der Oberbürgermeister hat das im Interview mit Ihrer Zeitung bestätigt. Derzeit ist die Verteilung in Essen ausgewogen, dann wird sie es nicht mehr sein.
Warum nicht?
Reil: Die Flüchtlinge leben überwiegend von Hartz IV und davon werden sie die Mieten im Süden Essens weder zahlen wollen noch können. Der Prozess wird nicht zu steuern sein, das macht mir große Sorgen.
Problem mit kriminellen Libanesen "offiziell verdrängt"
Aber der Norden kann doch neue Einwohner gut gebrauchen.
Reil: Ja, wenn sie integrierbar sind in unsere Gesellschaft und unsere Wertvorstellungen teilen. Das sehe ich aber nicht. Bei den Libanesen haben wir es erlebt, sie leben jetzt teils Jahrzehnte in Essen, und viel zu viele sind immer noch mangelhaft integriert. Ein sehr hoher Anteil bekommt Hartz IV, die letzten, mir bekannten Zahlen sind von 2013, da waren es 90 Prozent. Die Kriminalitätsstatistik ist anscheinend streng geheim, ich habe sie jedenfalls nicht bekommen. Aber ich war lange ehrenamtlicher Richter am Landgericht und habe dort sehr viele Prozesse mit libanesischer Beteiligung erlebt. Was sie da über die Mentalität lernen, wie sehr die uns und dieses Land verachten und uns auslachen, unsere Sozialgesetze ausnutzen, das ist haarsträubend. Wir haben das auch in dieser Stadt offiziell lange verdrängt, verdrängen es im Grunde immer noch.
Was hat das mit den jetzigen Flüchtlingen zu tun?
Reil: Sie kommen nun einmal aus dem selben Kulturkreis, ihre Mentalität ist nicht grundlegend anders. Von ihrer ganzen Erziehung her sind diese Menschen anders geprägt, sind mit Gewalt und Hass in ihren Heimatländern aufgewachsen, wofür sie nichts können. Ich glaube allerdings nicht, dass sie falsche Verhaltensweisen und Ansichten hier so schnell ablegen können, selbst wenn sie wollten. Die Gleichbehandlung von Frauen, die Achtung von Freiheitsrechten - damit haben viele einfach nichts am Hut. Das sagen die auch ganz offen.
"Kaum gelungen, Menschen aus dem arabischen Kulturkreis zu integrieren"
Man könnt auch optimistischer an die Sache heran gehen: Viele Flüchtlinge sind doch gerade vor Zuständen geflohen, die Sie beschreiben.
Reil: Ich schaue mir einfach die Realität an: Bisher ist es uns kaum gelungen, Menschen aus dem arabischen Kulturkreis zu integrieren. Warum soll das demnächst besser klappen, wenn die Rahmenbedingungen wegen der großen Anzahl von Flüchtlingen sogar schlechter werden? Diese Frage konnte mir noch keiner schlüssig beantworten.
Sie sagen also, anders als die Kanzlerin: Wir schaffen es nicht?
Reil: Richtig, wir schaffen es nicht. Uns wird ja auch erzählt, man könne eine Million arabischstämmiger Männer auf dem deutschen Arbeitsmarkt integrieren. Wer glaubt denn sowas? Das widerspricht doch jeder Erfahrung.
Sie arbeiten auf Prosper-Haniel, dem letzten Bergwerk im Ruhrgebiet. Der Bergbau galt immer als Integrationsmaschine ersten Ranges.
Reil: Früher war das so. Ich arbeite mit 15 Türken gut zusammen, mache allerdings die Erfahrung, dass das private Miteinander weniger geworden ist. Nur eine kleine Minderheit unter denen, die ich kenne, hat deutsche Freunde. Das war mal anders. Die Leute werden zudem ständig religiöser, und sie sind sehr stolz auf ihr Land und ihren Präsidenten – damit ist die Türkei gemeint. Mit der großen Mehrheit in der türkischen Community gibt es aber immerhin ein friedliches Nebeneinander. Das wird mit anderen so nicht klappen.
"Es gibt die große Angst, dass Stadtteile kippen"
Gibt es nicht auch noch immer viel Ausgrenzung von deutscher Seite?
Reil: Auch das gibt es. Meine türkischen Kollegen berichten, ihren teils bestens integrierten Kindern falle es immer noch schwerer, eine Lehrstelle zu bekommen oder eine Wohnung.
Wie kommt in Ihrer Partei an, was sie zum Thema Flüchtlinge und Integration sagen?
Reil: Viele Kollegen in der Politik denken wie ich, trauen sich aber nicht offen etwas zu sagen. Dabei wäre es dringend nötig, dass die SPD im Norden sich wieder darauf besinnt, was sie groß gemacht hat: als Volkspartei die Interessen der arbeitenden Menschen zu vertreten. Wir hatten in letzter Zeit einige Ortsvereinsversammlungen, in Karnap und Altenessen etwa. Die Basis ist hinter verschlossenen Türen viel kritischer in der Flüchtlingsfrage, als es nach außen deutlich wird. Es gibt die große Angst, dass Stadtteile kippen.
"Fast panische Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden"
Offen wird das nichts gesagt?
Reil: Nein. Es herrscht in diesem Land ein bedrückendes Meinungsklima. Es gibt eine fast panische Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden. Ich finde das schlimm. Ich habe aber beschlossen, kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen. Und da ich keine Ambitionen mehr habe in der Politik, kann ich mir das leisten.
Wenn Sie den Norden schützen wollen, müsste Ihnen sympathisch sein, dass Flüchtlingssiedlungen überall entstehen sollen, auch im Süden.
Reil: Unter dem Aspekt der gerechten Verteilung ja. Ich glaube nur nicht, dass die Flüchtlinge dort bleiben werden, zumal die Häuser auch nur auf fünf Jahre ausgelegt sind. Es wird sie in die Stadtteile ziehen, wo Freunde und Verwandte leben, und das ist nun mal im Essener Norden. Außerdem stört mich an der Debatte um Neubauten etwas anderes.
Nämlich?
Reil: Ich mache seit 1999 Kommunalpolitik und erzähle den Leuten seither, worum dieses nicht finanzierbar ist und jenes leider aus Geldmangel verkommt. In der Bezirksvertretung scheitern Vorhaben an fehlenden 500 Euro. Jetzt kommen die Flüchtlinge und da spielt Geld plötzlich keine Rolle mehr. Die Leute fragen sich, woher hat die öffentliche Hand eigentlich plötzlich die 102 Millionen Euro für den Bau von Siedlungen? In einer Stadt, die völlig verschuldet ist? Wie soll ich das den Menschen erklären?
Ein Vertreter der Willkommenskultur würde sagen: Der Menschenwürde muss eben vieles untergeordnet werden. Auch Sparzwänge.
Reil: Diese Meinung kann man gerne haben. Ich frage mich aber, warum wir in Deutschland – vielleicht neben Schweden und Österreich – das einzige Land der Welt sind, dass das so sieht. Wenn alle anderen es anders sehen und Europa gerade dabei ist, darüber ernsthaft zu zerbrechen – kann es sein, dass wir falsch liegen?
"Das hat mit dem Asylrecht, wie es das Grundgesetz vorsieht, wenig zu tun"
Die Flüchtlinge stehen nun mal an der deutschen Grenze. Was wollen Sie denn machen?
Reil: Ganz ehrlich, ich möchte auch nicht da stehen und die Leute wegdrücken müssen. Aber: Der Türkei geben wir drei Milliarden Euro, damit sie robuste Maßnahmen anwendet und die Menschen nicht zu uns kommen können. Was ist das für eine Heuchelei, eine Scheinmoral?
Für das Grenzproblem haben Sie jedenfalls genauso wenig eine Lösung wie andere auch.
Reil: Ich weiß nur eines: Es muss eine Lösung geben, so geht es nicht weiter. Die Situation ist meines Erachtens auch deshalb eskaliert, weil wir völlig falsche Signale gesendet haben. Es kann doch nicht sein, dass in dieses Land Menschen ohne Pässe reinkommen. Das gibt es auf der ganzen Welt nicht. Und warum haben junge Männer, die erkennbar kerngesund sind, überhaupt Anspruch auf besonderen Schutz? Was da betrieben wird, ist doch oft einfach Auswanderung. Da hat die ganze Familie zusammengeschmissen, damit der Junge Geld hat für die lange und gefährliche Reise und später kommt die Familie nach. Das hat mit dem Asylrecht, wie es das Grundgesetz vorsieht, wenig zu tun.
Woher wissen Sie das so genau?
Reil: Ich informiere mich. Beispielsweise hatten wir vor einiger Zeit den Düsseldorfer Verwaltungsrichter Ulrich Kapteina in der SPD-Ratsfraktion, der seit Jahrzehnten zu Asylfällen Recht spricht. Er hat uns geschildert, wie mit teils krimineller Energie das Asylrecht missbraucht wird.
Wie ist das aufgenommen worden?
Reil: Es gab von einigen wenigen Kritik und von der großen Fraktionsmehrheit viel Anerkennung, dass endlich mal jemand Klartext redet.