Essen. Die Essener Wirtschaftsförderung feiert 25-jähriges Bestehen. Geschäftsführer Dietmar Düdden über Erfolge, Niederlagen und mangelnde Wirtschaftskompetenz bei Lokalpolitikern.
- Chef-Wirtschaftsförderer Dietmar Düdden vermisst im Rat Wirtschaftskompetenz
- Besonders beim Ausweisen neuer Flächen gebe es zuviel Rücksicht auf Einzelinteressen
- Die hohe Arbeitslosigkeit sei auch durch Ansiedlung neuer Firmen kaum zu beeinflussen
Herr Düdden, die Wirtschaftsförderung wird 25, und es gab zuletzt einige gute Nachrichten. Eon hat den Hauptsitz hierher verlegt, Karstadt bleibt, große Unternehmen bauen neue Zentralen und bekennen sich zur Stadt. Ist das Image der Stadt Essen besser geworden?
Dietmar Düdden: Essen ist zu einer Marke geworden. Wir haben in den Jahren des Strukturwandels eine phantastische Wirtschaftsentwicklung hingelegt. Zwischen 2002 und 2012 hat Essen das stärkste Wirtschaftswachstum aller zehn größten deutschen Städte hingelegt. Das führt dazu, dass man uns heute anders wahrnimmt. In der Vergangenheit aber hat Essen kommunikativ nicht das daraus gemacht, was man hätte machen können.
Es verwundert etwas, dass Sie Essen als Marke bezeichnen. Immer wieder hört man doch die These, dass eine Stadt des Ruhrgebiets allein nicht viel bewegen kann.
Düdden: Es geht um eine Doppelstrategie, die einerseits die Bedeutung des Ruhrgebiets herausstreicht, andererseits aber die Stärken Essens betont. Wir sind das Zentrum einer großen Metropole. Essen hat es im Ruhrgebiet geschafft, sich zu positionieren. Die Stadt ist heute beispielsweise der größte Bürostandort, den auch Investoren immer stärker für sich entdecken. Gerade außerhalb Deutschlands werden wir aber nicht wahrgenommen, wenn wir sagen, wir sind eine der zehn größten deutschen Städte.
Andere Großstädte sind dennoch dynamischer und wachsen bei den Einwohnerzahlen deutlich stärker.
Düdden: Das stimmt. Aber wenn wir es schaffen würden, von den derzeit 145.000 Einpendlern nur einen Bruchteil zum Umzug nach Essen zu bewegen, wäre schon viel gewonnen. Mehr Einwohner bedeuten mehr Schlüsselzuweisungen des Landes und mehr Steuereinnahmen. Es darf also bei der weiteren Entwicklung in Essen nicht immer nur ums Sparen gehen, sondern wir müssen den Blick auch darauf richten, wie wir Erträge generieren können. Das bedeutet aber, dass es ein größeres und attraktives Wohnangebot geben muss. Dafür brauchen wir neue Flächen. Eine Verdichtung der vorhandenen Standorte alleine wird dafür nicht ausreichen.
Sie fordern mehr Wohnungen. Doch die Stadt will eine Quote für den sozialen Wohnungsbau einführen.
Düdden: Ich bin kein Vertreter einer solchen Quote. Das würde Investoren eher abschrecken.
Die Politik in Essen fährt seit längerem einen extrem zurückhaltenden Kurs bei der Ausweisung neuer Wohn- aber auch Gewerbeflächen. Das muss Sie doch enttäuschen.
Düdden: Und wie. Ich war damals in vielen Essener Bezirksvertretungen und habe mich beschimpfen lassen. Und ich habe dann provokant gefragt: Wollen Sie wirklich, dass ihre Jobs künftig woanders sind? Ganz aktuell versuchen wir ein Unternehmen zu halten, was aber wegen fehlender Flächen wohl nicht klappen wird. Ich bleibe dabei: Der Rat der Stadt gibt zu oft Einzelinteressen nach.
Sie spielen auf den Widerstand im Süden der Stadt an?
Düdden: Ohne neue Flächen im Süden wird es nicht gehen, weil da die Nachfrage besonders groß ist. In den vergangenen 25 Jahren hat die EWG so gut wie keine Grünflächen angefasst, sondern nur Flächen, die ohnehin schon gewerblich oder industriell genutzt wurden. Das ist ein Ausnahmefall, den es künftig so nicht mehr geben kann. Umgekehrt sind 80 Hektar Gewerbefläche in Grün-, Wohn- und Verkehrsflächen umgewandelt worden – ohne, dass es dafür eine Kompensation gab. Nun sind wir bei den Gewerbeflächen nahezu ausverkauft. Das größte Grundstück, das die EWG noch im Angebot hat, ist 12.000 Quadratmeter groß – also gerade mal etwas über einen Hektar.
Viel Hoffnung liegt auf den Thyssen-Krupp-Flächen, die kürzlich an die Thelen-Gruppe verkauft worden sind. Ein Konsortium mit städtischen Unternehmen hätte mehr Einfluss auf die Flächen gehabt.
Düdden: Das ist jetzt ein Fakt. Ich würde mich mehr ärgern, wenn die Flächen jetzt liegen blieben. Wir haben im Vorfeld des Ankaufs allgemeine Gespräche mit der Thelen-Gruppe geführt, aber im Moment keine Kenntnis darüber, was der neue Eigner damit vor hat.
Im Grunde könnte es Ihnen ja egal sein, wie es beim Thema Gewerbeflächen weitergeht. Sie gehen in anderthalb Jahren in den Ruhestand. Was wünschen Sie sich eigentlich für einen Nachfolger?
Düdden: Jemanden, der weiß, wie die Stadt und die Region ticken. Und der auf der anderen Seite die Wirtschaftsorientierung hat.
Mangelt es daran in der Stadt?
Düdden: Essen hat kein Wirtschaftsdezernat. Deshalb liegt die Verantwortlichkeit dafür beim Oberbürgermeister. Thomas Kufen zieht im Sinne der lokalen Wirtschaft viele wirtschaftliche Themen auf seinen Tisch und er entscheidet auch schnell. Das war früher nicht immer so. Was mir fehlt, ist das wirtschaftliche Grundverständnis im Rat der Stadt. Wie ich schon sagte, brauchen wir dringend im Rat die grundsätzliche Diskussion zur Weiterentwicklung dieser Stadt. Doch die Meinung dort wird zu stark von der Meinungsbildung auf der Stadtteilebene geprägt. Ein Stadtrat darf sich wichtige strategische Weichenstellungen nicht aus der Hand nehmen lassen.
„Versorgungsmentalität steht Job-Erfolg im Weg“
Ein großes Problem in Essen ist die hohe, wie betoniert wirkende Arbeitslosigkeit. Was tun?
Düdden: Wir haben in Essen eigentlich einen gut funktionierenden Arbeitsmarkt. Menschen, die ihre Arbeit verlieren, finden recht schnell wieder einen Job. Das sieht man allein daran, dass sich der teils massive Arbeitsplatzabbau in den Konzernen kaum in den Arbeitslosenzahlen niedergeschlagen hat. Unser Problem ist die Langzeitarbeitslosigkeit. Die „Vererbung“ von Hartz-IV-Karrieren ist dabei meine Hauptsorge. Hier muss vor allem bei der Bildung angesetzt werden. Derjenige, der heute anderthalb Jahre und länger von Hartz IV lebt, für den ist es schwer, wieder im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Das heißt: Egal wie viele Unternehmen Sie in Essen ansiedeln würden, an der Langzeitarbeitslosigkeit würde sich nichts ändern?
Düdden: Davon bin ich überzeugt. Die Zeit ist vorbei, in denen Unternehmen für Ungelernte Arbeit haben. Bestes Beispiel ist die Logistik: Früher reichten vielleicht zwei große Hände zum Anpacken. Heute brauchen sie dort mindestens IT-Kenntnisse.
Warum klappt das aber in anderen Regionen besser, die Essener sind doch nicht dümmer als beispielsweise die Stuttgarter?
Düdden: Ich glaube, dass die baden-württembergische Mentalität, auch der soziale Druck dort, ein anderer ist als hier im Ruhrgebiet. Es gibt da einfach eher die Neigung zu sagen: Komm, jetzt leg mal noch eine Schippe drauf! Das ist natürlich auch historisch geprägt. Das Ruhrgebiet mit seinen großen Unternehmensstrukturen hat an die Menschen sehr lange das Signal ausgesendet: Ihr seid versorgt. Und das prägt möglicherweise bis heute eine gewisse Erwartungshaltung.
Nachrichten aus den Konzern-Zentralen sorgten zuletzt nicht immer für Freude. Wie groß ist Ihr Einfluss auf Entscheidungen wirklich?
Düdden: Wir sind da ein ganz kleines Rad am Wagen und begleiten die Unternehmen im Rahmen unserer Möglichkeiten. Bei Karstadt hatten wir letztlich Erfolg, immerhin. Wichtiger als unser direkter Einfluss ist die Attraktivität des Standorts. Wir haben mit unseren günstigen Büromieten verglichen mit Düsseldorf ein enormes Pfund, das wir in die Waagschale werfen können. Auch die Nähe zum Düsseldorfer Flughafen ist gerade für international agierende Unternehmen enorm wichtig.
Viele ehemalige Konzern-Immobilien sind nicht ganz leicht zu vermarkten. Wie geht es mit den RWE-Hochhäusern weiter, wenn RWE dort auszieht.
Düdden: Mir ist nicht bange, was die mittelfristige Verwertung der Türme angeht. Allein die zentrale Lage zum Bahnhof macht sie attraktiv. Ich hoffe sogar, dass das ganze Viertel vom Bismarckplatz bis zur Alfredstraße eine bessere Entwicklung nimmt, wenn man jetzt neu denkt.
Die EWG hat das Uni-Viertel mitentwickelt. Die Vernachlässigung des öffentlichen Raums bedroht aktuell diesen Erfolg. Ärgert Sie das?
Düdden: Natürlich. Wir sind ja dabei, die Situation zu verbessern und mehr zu reinigen. Aber wir müssen da im Gespräch mit Grün und Gruga und der Verwaltung eine dauerhafte Lösung finden. Ich hätte es besser gefunden, wenn es in so einem qualitativ hochwertigen Quartier eine Umlage an die Nutzer gegeben hätte. Mit dem Geld hätte man Hausmeister oder Quartierswarte bezahlen können. Aber dafür ist es nun zu spät.
Essener Wirtschaftsförderung (EWG): Zahlen und Fakten
Die Essener Wirtschaftsförderung (EWG) wurde 1991 als Nachfolgerin des Stadtamtes für Wirtschaftsförderung gegründet, das als nicht mehr zeitgemäß galt. Die EWG sollte neue Firmen anwerben, um den massiven Arbeitsplatzrückgang zu stoppen. Dazu zählte auch die Bereitstellung von Gewerbeflächen.
Heute gibt es rund 12.700 kleine und mittelständische Unternehmen in Essen. Sieben der 100 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands haben hier ihren Hauptsitz. 1991 waren rund 295 700 Essener erwerbstätig, davon 72,7 Prozent im Dienstleistungssektor. 2014 waren es 325 101, davon 85,9 Prozent im Dienstleistungssektor.
Zu den größten Projekten der EWG in den letzten 25 Jahren zählten unter anderem der Büropark an der Ruhrallee, die Entwicklung des Grugacarrees (Eon, Atos, Brenntag, Ista), das Uni-Viertel (Funke Mediengruppe, AOK) und die Gewerbegebiete M1 und Econova.