Essen. Thomas Kufen: Aufgegangen sei eine Saat aus „Hass, Ressentiments und Populismus“. Essens Deutsch-Englische Gesellschaft über Votum „überrascht“.

  • Auch Essens Partnerstadt Sunderland stimmt eindeutig für den Austritt aus der EU
  • Thomas Kufen hält es nur für tröstlich, dass vor allem Ältere für Ausstieg gestimmt haben
  • Das wiederum finden andere besonders ärgerlich am Votum der Briten

Oberbürgermeister Thomas Kufen hatte richtig Wut im Bauch, als er Freitagmorgen bei der Vorstellung eines Essener Heimatbuches erst einmal seinem durch Brexit verwundeten Herzen Luft machte: „Ressentiments, Hass, Populismus, Rassismus“ – diese Saat sei nun aufgegangen, schimpfte der OB. Eine Analyse, die etwas unterkomplex sein mag, doch fand Kufen immerhin im Ergebnis auch Tröstliches: die Tatsache nämlich, dass es mit deutlicher Mehrheit vor allem „die Alten“ waren, die in Großbritannien für das Verlassen der EU stimmten. „Die Jungen machen mir Hoffnung“, ließ der 42-Jährige OB wissen.

Das gilt aber wohl nur bedingt für Essens Partnerstadt Sunderland, jener alten Stahl- und Küstenstadt im Norden Englands, in der 61,3 Prozent für die Loslöung votierten. Kufen hatte noch vor einigen Tagen im Gespräch mit der Sunderlander Stadtspitze seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass Sunderland pro EU abstimmen möge. Es kam anders. Verbunden war der Rat aus Essen allerdings mit Kufens Zusicherung, an der seit 67 Jahren bestehenden Städtefreundschaft werde sich auch im Brexit-Fall nichts ändern.

Städte im Nordosten fühlen sich abgehängt

Bernhard Nadorf (66), pensionierter Pädagoge aus Überruhr und Vorsitzender der Deutsch-Englischen Gesellschaft in Essen, sah zu Hause nachts um zwei Uhr live im BBC-Fernsehen, wie Sunderland abgestimmt hatte: „Da wusste ich, das wird ein Trend.“ Nadorf war gestern „sehr überrascht“ über das Ergebnis. Und was OB Kufen noch tröstlich findet – die Alten in Großbritannien stimmten gegen die EU, nicht die Jungen –, das findet Nadorf am allerärgerlichsten: „Die jungen Briten haben Internet, Billigflieger und Erasmus-Austausch-Programme. Die ticken europäisch. Es ist schlimm, dass die alten Briten den jungen Leuten so die Zukunft verbauen.“ Es sei eben diese ältere Generation von Briten, die in alter Empire-Herrlichkeit nicht akzeptiert hätten, dass es Mächte gibt, die größer sind als das britische Parlament.

Anderereits, ist Nadorf sicher: „Das war eigentlich keine Abstimmung gegen Europa, sondern gegen die politische Elite in London. Weite Teile Großbritanniens, vor allem die Städte im Nordosten wie Sunderland, fühlen sich abgehängt, dazu zählen vor allem weiße Arbeiter.“

Nadorf, der bis 2013 das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium an der Franziskanerstraße (Südostviertel) leitete, selbst längere Zeit im britischen Manchester lebte, als Lehrer arbeitete und dort seine Ehefrau kennenlernte, ist jetzt „in tiefer Sorge“, dass die Spaltung Europas weitergeht. „Warum sollen die Niederländer nicht denken: Das können wir auch?“