Essen. Der Essener Lars Kramm lebt in der nordenglischen Stadt, für die Grünen sitzt er im kommunalen Parlament. Als EU-Ausländer konnte er kandidieren. Damit ist es nach dem Brexit vorbei.

  • Lars Krammer aus Rellinghausen lebt seit fünf Jahren in York
  • Als EU-Ausländer konnte er bei den Kommunalwahlen kandidieren
  • Nicht nur als Stadtrat trifft ihn der Brexit. Freunde, Familie und Kollegen seien besorgt

Alle reden über den Brexit. Auch in York. Ob beim Bäcker oder im Bus: „Es gibt kein anderes Thema“, erzählt Lars Kramm am Telefon. Der 33-Jährige ist in Rellinghausen groß geworden, saß im Vorstand der Essener Grünen. Seit fünf Jahren lebt Kramm in der geschichtsträchtigen Stadt im Norden Englands, wo er bei der Kommunalwahl 2015 für die Grünen einen Wahlkreis gewinnen konnte. Seitdem gehört er als EU-Ausländer dem Stadtrat an. Ein Novum in York.

Dass Großbritannien nun die Europäische Union verlassen wird, sei ein Schock, sagt Lars Kramm.

Am Abend zuvor war er noch mit einem guten Gefühl zu Bett gegangen. Leave or Remain? Gehen oder bleiben? Laut Prognose lag das Lager derer, die sich für den Verbleib in der EU aussprachen da noch, mit 52 Prozent gegenüber 48 Prozent vorne. Als Kramm dann am nächsten Morgen in aller Frühe das lokale Radion der BBC einschaltete, stand nicht nur seine Welt Kopf. Die Euro-Skeptiker hatten die Abstimmung gewonnen.

"Wie viele Jobs fallen weg?"

In York ist das eine Minderheit, die so denkt. Die 200.000-Einwohner-Stadt habe zu 85 Prozent für den Verbleib in der EU gestimmt. Auch der Stadtrat hatte sich in einer Resolution ausdrücklich dafür ausgesprochen. York ist Universitätsstadt, die Bevölkerung sei jung, das Bildungsniveau hoch, berichtet Kramm. Dass die Pro-Europäer überwiegen würden, ist keine Überraschung. Auf der Straße, wo auch Kramm Wahlkampf für den Verbleib in der EU machte, sei die Stimmung positiv gewesen. Anders im Landkreis, der mit Ausnahme eines einzigen Wahlkreises geschlossen für den Brexit stimmte. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land, ärmer und wohlhabend war in Yorkshire wie im gesamten Königreich prägend fürs Votum. In Essens Partnerstadt Sunderland etwa, wie Essen eine ehemalige Industriestadt, sah die Lage ganz anders aus: Hier zog es 61,3 Prozent raus aus der EU

„Viele Leute fragen sich jetzt, wie es weitergeht“, berichtet Kramm. „Wie viele Jobs fallen weg?“ Auch in dem Unternehmen, in dem er selbst in York beschäftigt ist, machten sich viele der 120 Mitarbeiter sorgen.

Doppelte Staatsbürgerschaft als Option

„Wir vertreiben Musikinstrumente in Großbritannien und europaweit. Der Preisverfall des Pfundes wird massive Auswirkungen auf unser Geschäft haben“, ist sich Lars Kramm sicher. „Vom Lagerarbeiter bis zum Management sind alle schockiert über den Ausgang der Abstimmung.“

Der bevorstehende Brexit des Königreiches trifft den 33-Jährigen auch als Lokalpolitiker. Als EU-Ausländer genießt Kramm das aktive wie das passive Wahlrecht, darf seine Stimme abgeben und kandidieren. Damit dürfte es vorbei sein, wenn Großbritannien die Europäische Union erst einmal verlassen hat. Zwei Jahre wird sich die Scheidung hinziehen.

Kramm hätte die Wahl. Seine Frau ist Engländerin, er könnte die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen. Eine Überlegung wäre es wert, sagt Kramm, der sich innerlich aber gegen einen solchen Schritt streubt. „Es ist ja nicht meine Vorstellung von Europa möglichst viele Pässe zu besitzen.“ Der europäische Gedanke sei doch ein anderer, Europa stehe für Wahlfreiheit und Offenheit. „Ich bin nicht bereit, diesen Gedanken aufzugeben“, sagt Kramm trotzig.