Essen. Haus der Geschichte zeigt die Ausstellung „Mist auf Plakaten“. Präsentiert werden die Werke von Elga und Gerulf Morgenstern-Hübner.
Ein Kopf. Ein schreiender Kopf eines jungen Mannes, in leuchtendem Protest-Rot, eingeklemmt zwischen zwei Stiefeln in Schwarz und Gelb – diese etwas andere Interpretation der Deutschlandfahne zierte 1967 das Werbeplakat für eine Essener Veranstaltungsreihe zur Studentenbewegung in Berlin. Für lokale Politiker „diffamierend“, gar „unverschämt“, für Elga und Gerulf Morgenstern-Hübner der Anfang einer langjährigen Auseinandersetzung mit Politik – auf Plakaten. Genau 49 Jahre nach dem Druck ihres Erstlings widmet das Essener Haus der Geschichte Elga und Gerulf Morgenstern-Hübner, dem Grafikstudio HÜGEMO, die Ausstellung “Mist auf Plakaten“.
„Die Urzelle waren die beginnenden Studentenproteste“, erinnert sich Elga Morgenstern-Hübner. Ihr erstes Plakat entwarfen HÜGEMO im Auftrag der evangelischen Studentengemeinde: „Wir haben das über Nacht in der Folkwang-Universität in Werden gemacht. Die Vorlage haben wir in Linolplatten geschnitten und dann gedruckt“, verrät das Mitglied des Kulturbeirats der Stadt Essen. Dafür haben sie teilweise ihren Kopf hinhalten müssen – Gerulf Morgenstern sogar wortwörtlich: Er ist der rote Kopf auf Plakat Nummer Eins. Etliche weitere sollten folgen.
"Präzise Reduktion auf Symbolik"
Als „Mist auf Plakaten“ kritisierte 1969 der ehemalige Chefredakteur der WAZ, Siegfried Mahrun die Werke der beiden Künstler. Sein Zitat ist heute Titel der Ausstellung, die das Haus der Geschichte bis Ende September beherbergt. „Wir greifen die Themen auf, die in unserer Dauerausstellung ‘Essen - Geschichte einer Großstadt im 20. Jahrhundert’ zu sehen sind. Gleichzeitig wollen wir auch die Vielfalt von Archivalien zeigen“, erklärt Leiter Klaus Wisotzky den Hintergrund der Retrospektive.
Den ausstellungsbegleitenden Katalog hat der langjährige Wegbegleiter der Morgenstern-Hübners, Wilfried Breyvogel, verfasst. Der Professor für Pädagogische Jugendforschung sieht in den Arbeiten der “genuinen Ruhrgebietskinder“ eine „visionäre Praxis“: „Aus meiner Sicht handelt es sich um eine präzise Reduktion auf Symbolik, angelehnt an die Geschichte der Karikatur.“
Auch digitale Kunst ist bedeutend
Besonders anschaulich zeigt das der von roten Lippen geküsste Karl Marx. Das Plakat zur Veranstaltung „Histomat und Diamat“, ein Siebdruck des Kopfes der linken Ikone Karl Marx, der einen Kussmund auf der Wange trägt, wie Gerulf Morgenstern betont: „Dieses Fan-tum wollten wir aufgreifen. Wir haben Marx durch den Kussmund bewusst zum Popstar gemacht.“ Mit großem Erfolg, wie der 73-Jährige weiter lachend erklärt. „Ein Mädchen hat versucht, den Kussmund abzuwischen.“
Die Kunst, das Wesentliche einer Sache in einem Plakat einzufangen, verlangt heute keine Linolplatten mehr. Was das Grafikerehepaar damals in präziser Handwerkskunst gestaltet hat, lässt sich mittlerweile durch wenige Handgriffe am Computer erzeugen. Weniger bedeutend mache das die digitale Kunst aber nicht, wie die bildende Künstlerin Elga Morgenstern-Hübner betont: „Ist die Qualität des Künstlers gut, dann ist das auch die digitale Kunst.“