Essen. Nach dem Anschlag auf Essener Sikh-Tempel: Das Protokoll ihrer Whatsapp-Gruppe belegt, wie sich die festgenommenen Jugendlichen radikalisiert haben.

  • Die mutmaßlichen Täter radikalisierten sich in einer Whatsapp-Gruppe
  • Chatprotokoll der 13 Jugendlichen erwähnt auch „Bomben“
  • Befehl an die Gruppe: „Löscht alle Bilder und Videos vom IS“ und „Löscht eure Chats“

Yusufs Weg vom Kinderzimmer in den Dschihad führt über Whatsapp. „Unterstützer des Islamischen Khalifat“ tauft der erst 16 Jahre alte Gelsenkirchener die Chatgruppe, die er vier Monate vor dem Sprengstoffanschlag auf den Sikh-Tempel in Essen ins Leben ruft. Ein Smartphone-Geheimbund, in dem bis zu 13 salafistische Jugendliche vom islamischen Gottesstaat schwärmen – und sich radikalisieren. Solange bis sie am 16. April tatsächlich zur Tat schreiten. Bald sieben Wochen nach dem Anschlag sitzen schon fünf Mitglieder dieser Gruppe in Untersuchungshaft, und es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, wann die sechste Festnahme erfolgt.

Yusuf T. und sein Kumpan Mohammed B. (ebenfalls 16) aus Essen sind Haupttäter eines Attentats, bei dem drei Gäste einer indischen Hochzeitsfeier verletzt wurden. Als dritter Mann dieser Teenie-Terrortruppe gilt Tolga I. (17) aus Schermbeck. Die beiden zuletzt Festgenommenen sind Hilmi T. (20) aus Münster und Muhammed Ö. (17) aus Gelsenkirchen.

Schleichende Radikalisierung

Dieser Zeitung liegen Auszüge aus dem Chatverlauf der Whats­app-Gruppe vor. Das Gesprächsprotokoll von Anfang Februar belegt, wie sich die Aktivisten zu diesem Zeitpunkt radikalisiert haben. Aufgeregt schreibt Yusuf: „Ikhwan (Bruder, Anm. d. Red) sie wissen alles und sie kennen euch.“ Mit „sie“ sind die Ermittlungsbehörden gemeint, die tatsächlich seit längerer Zeit eine Auge auf die Jugendlichen geworfen hatten. Drei von ihnen, auch Yusuf T., nehmen am NRW-Präventionsprogramm „Wegweiser“ teil. Eigentlich sollen sie darin auf den Pfad der Tugend zurückgeführt werden.

Aus Angst erwischt zu werden, erteilt Yusuf via Whatsapp hektisch einen „Befehl“: „Löscht ALLE Bilder und Videos vom IS. Löscht eure Chats... Bleibt mehr zuhause.“ Abschließend verlangt der „Amir“, der Befehlshaber: „Alles was Waffen artig ist oder ähnlich (Bomben auch) muss umgehend entsorgt werden (von eurem Wohnsitz). Verkauft es, verschenkt es, verlagert es oder zerstört es“.

Michael Kiefer von der Universität Osnabrück erforscht für das Bundesjugendministerium, warum junge Menschen in den Salafismus abdriften. „Soziale Medien wie Whatsapp oder Facebook sind für die islamistische Szene von größter Bedeutung“, sagt der Islamwissenschaftler, und fügt hinzu: „Junge Muslime radikalisieren sich in Gruppen, das geschieht nicht blitzartig, sondern schleichend.“

Gelsenkirchener OB will Zusammenarbeit verbessern

Die Festgenommenen sind einschlägig aufgefallen. Schon 2014 drohte der damals 14 Jahre alte Yusuf T. einer jüdischen Mitschülerin an, ihr das Genick zu brechen. Und Mohammed B. nannte sich bei Facebook bereits im August 2015 ungeniert „Kuffr Killer“ – Mörder der Ungläubigen. Die Polizei ermittelte gegen ihn, doch die Staatsanwaltschaft Essen, so heißt es, habe das Verfahren eingestellt. Muhammed Ö. stand erst kürzlich vor dem Jugendrichter, weil er Enthauptungsvideos des IS verbreitet hatte.

Islamwissenschaftler Kiefer irritiert am Fall der Essener Sikh-Tempelbomber, „wie wenig Kommunikation es zwischen Jugendamt, Schule, Polizei, Justiz, Wegweiser und Eltern gegeben hat“. Ein schwerwiegendes Versäumnis, aus dem zumindest der Gelsenkirchener OB Konsequenzen gezogen hat. Er will die Zusammenarbeit der Behörden verbessern.

"Ich vermisse meine Oma"

Der Sikh-Anschlag handelt aber nicht nur von Pannen, sondern auch von couragierten Frauen. Es sind die Mütter von Yusuf T.,. Tolga I. und Hilmi T., die – unabhängig voneinander – ihre Söhne bei der Polizei anzeigten und so womöglich Schlimmeres verhinderten. So fiel Tolgas Mutter eine Kladde mit handschriftlichen Aufzeichnungen in die Hände, in der der 17-Jährige ankündigte, Ungläubige töten zu wollen. Auch Hilmis Mutter reagierte prompt, als sie den „Abschiedsbrief“ ihres Sohnes las, der offenbar im Begriff war, sich der IS-Terrormiliz anzuschließen. Auch die Mutter von Yusuf T. setzte die Polizei auf ihr eigenes Kind an. „Ein klares Indiz dafür, wie verzweifelt die Mütter gewesen sein müssen“, sagt Forscher Michael Kiefer.

So blutrünstig sich die selbsternannten „Gotteskrieger“ in ihren Chats auch geben mögen, an manchen Stellen sind sie immer noch Kind. So bekennt Tolga gegenüber Yusuf: „Ich vermisse meine Oma.“