Essen. Der Essener Ratsherr Guido Reil ist aus der SPD ausgetreten. “In der Flüchtlingspolitik haben wir uns endgültig und völlig von der Realität verabschiedet.“

Paukenschlag in der Essener SPD: Der als Folge eines WAZ-Interviews zum Thema Integration und Flüchtlingspolitik bundesweit bekannt gewordene Karnaper Ratsherr Guido Reil beendet seine 26-jährige Parteimitgliedschaft und hat Mittwoch gegenüber seinem Karnaper Ortsverein den sofortigen Austritt aus der SPD bekanntgegeben. Die SPD sei nicht mehr nahe bei den einfachen Leuten und bei den Arbeitern und entferne sich immer mehr von ihren Wurzeln. Dies habe in der Flüchtlingspolitik ihren Höhepunkt erreicht, wo sich die Partei „endgültig und völlig von der Realität verabschiedet“ habe.

Reil hatte sich – beginnend mit dem WAZ-Interview, dann auch in vielen TV-Beiträgen – deutlich von der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der SPD distanziert, gleichzeitig die von ihm als ungerecht empfundene Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Stadt angeprangert. Diese war nicht zuletzt aufgrund der Wirkung, die Reil in der Öffentlichkeit erzielt hatte, zugunsten des Essener Nordens korrigiert worden. Den schließlich gefundenen Standort-Kompromiss hatte auch Reil mitgetragen. „Was er anstoßen wollte, ist doch gelungen, das ist doch ein Erfolg“, bemerkte Essens SPD-Chef Thomas Kutschaty. Reil habe ansonsten nicht dargelegt, was er konkret anders machen wolle.

Die SPD sei vom Ideal der sozialen Gerechtigkeit abgerückt. „Wir waren die Partei der Arbeiter, aber ihre Interessen vertreten wir gar nicht mehr.“ Reil ergänzt diese These mit bitter-ironischem Unterton so: „Den offensichtlich falschen Kurs beibehalten, auch wenn wir wissen, dass er falsch ist, nur aus strategischen Gründen – das ist Irrsinn. Aber die Strategien der SPD-Vordenker haben ja die letzten Jahre immer funktioniert. Also weiter so. Bloß nichts ändern, bloß nicht kritisch diskutieren.“

Karnaper SPD-Ortsvereinsvorsitzender: „Mir geht das sehr nahe“

Der Karnaper hatte sich nach eigenen Angaben in den letzten Tagen mit Familie und Freunden beraten und sich dann zu diesem Schritt entschlossen. Am Mittwochabend unterrichte er auf einer Vorstandssitzung seinen SPD Ortsverein Karnap, wo er stellvertretender Vorsitzender ist. „Es war mir wichtig, dies den Menschen, die mir am Herzen liegen, persönlich mitzuteilen. Ich verlasse die SPD nach 26 Jahren. Sie war für mich Familie und auch ein Teil meiner Identität.“

Der Karnaper Ortsvereinsvorsitzender Stephan Duda, der Reils Haltung zur Flüchtlingspolitik teilweise teilte, bestätigte den Austritt. „Mir geht das sehr nahe. Ich habe versucht, ihn davon abzubringen, aber er war sehr festgelegt in seiner Meinung.“ Auch SPD-Ratsfraktionschef Rainer Marschan bedauerte die Entscheidung: „Ich habe ihn für einen Sozialdemokraten alter Schule gehalten.“

SPD-Ratsfraktionschef forderte Reil auf, sein Ratsmandat zurückzugeben

Ausschlaggebend für Reils Entscheidung sei der Essener SPD-Parteitag vom Wochenende gewesen, berichtete Duda. Reil hatte als stellvertretender Vorsitzender kandidiert, war jedoch mit 21,5 Prozent der Stimmen gescheitert. Der Parteitag war teilweise geprägt von einer feindseligen Stimmung gegen Reil, der dazu allerdings durch heftige Angriffe gegen die Parteiführung auch selbst beigetragen hatte.

Rainer Marschan forderte Reil auf, sein Ratsmandat zurückzugeben. „Das gehört sich so, denn ohne die SPD hätte er es nicht.“ Reil hat allerdings andere Pläne. „Ich werde in Zukunft als parteiloser Ratsherr weiter intensiv an meinen sozialen Projekten arbeiten und ganz eng mit den Bürgerinitiativen im Essener Norden zusammenarbeiten.“Den Schritt, den er gehe, sei vielleicht der schwerste seines Lebens. „Aber ich kann leider nicht anders und ich werde keinen falschen Weg mit beschreiten.“