Essen. Die Polizei bietet Lehrern Übungen an für den Fall, dass Konflikte mit Schülern ins Körperliche ausarten. „Gewalt muss im Keim erstickt werden“.
Lehrer der Gesamtschule Borbeck haben sich neulich unter fachkundiger Anleitung geprügelt und hatten auch noch einen Mordsspaß dabei. Okay, das war jetzt ein bisschen sehr überspitzt.
In Wahrheit ging es an der Schule eine ganze Woche lang um Selbstbehauptung und das richtige Verhalten bei Streit und körperlichen Auseinandersetzungen; Profis der Polizei gaben dem gesamten achten Jahrgang der Schule Tipps.
Aktive Gewalt-Prävention
Sowas nennt man aktive Gewalt-Prävention, die nicht Antwort auf ein womöglich bestehendes, akutes Problem ist, sondern: Bestandteil einer vorausschauenden, pädagogischen Arbeit und eine Methode, die Schüler grundsätzlich fit zu machen für den richtigen Umgang mit Konflikten.
„Es ist wichtig, Gewalt im Keim zu ersticken, und so früh, wie es geht, kriminellen Karrieren vorzubeugen“, sagte denn auch Detlef Köbbel, der Leitende Polizeidirektor im Polizeipräsidium. „Es ist gut, wenn auch die Schulen hier vorbeugende Arbeit leisten und nicht nur die Polizei allein.“
Der Vize-Chef der Essener Polizei sah sich jetzt persönlich das Training an der Gesamtschule Borbeck an, das zwei seiner Mitarbeiter auch für die Lehrer ausgearbeitet hatten: Marcel Soltysiak, Kriminologe und Polizist, sowie Rebecca Elke von der Kradstaffel Mülheim, trainierten einen Nachmittag lang die Pädagogen im richtigen Umgang mit aggressiven Schülern im Krisenfall. „Krav Maga“ heißt diese Art von Selbstverteidigung, die sich verschiedener Kampfsporttechniken bedient und berücksichtigt, dass die Akteure massiv unter Stress stehen.
Für Laien sieht es nach Schwitzkasten aus
Also: Was tun, wenn einer andere extrem bedroht oder so ausrastet, dass er nicht mehr mit Worten erreichbar ist? Die beiden Polizisten brachten den Lehrern wirksame Griffe bei, mit denen junge Leute im Eskalationsfall kurzfristig zur Ruhe gebracht werden können. Und weil die Lehrer die Übungen an sich selbst ausprobierten, war es auch – bei allem Ernst der Veranstaltung – zwischenzeitlich recht lustig.
Es fing schon damit an, dass sie einfach zu zweit mal die Köpfe zusammenstecken, jeweils auf die Schulter des anderen legen sollten, und dann: Ringen! Gelächter, Gewusel, Gestolper in der Halle. „Das liegt daran, dass Ihr das nicht gewöhnt seid“, sagte Marcel Soltysiak, „das ist bei jungen Gewalttätern natürlich ganz anders.“ Später lernten die Pädagogen, dass man im Bedrohungsfall immer jemanden von hinten zu packen kriegen sollte, damit man den ganzen Oberkörper und einen Arm unter Kontrolle hat. Für Laien sieht das aus wie Schwitzkasten, der Unterschied: So bekommt der Festgesetzte noch genügend Luft, und während man jemanden so massiv angeht: „Mit dem Täter sprechen und ihn beruhigen, das ist ganz wichtig.“
Was darf ich als Lehrer wann tun?
Natürlich ging es auch um Verhältnismäßigkeit: Was darf ich als Lehrer wann tun? Die Polizisten klärten auf, dass im Bedrohungsfall der Tatbestand der Notwehr einer juristischen Prüfung standhält, auch wenn dabei womöglich die Brille eines Schülers kaputtgehen würde oder sich jemand einen blauen Fleck holt. „Recht muss nicht vor Unrecht weichen“, sagte Soltysiak. Das sind grundlegende Informationen, die wohl jeder Lehrer wissen sollte, egal, an welcher Schule und in welchem Stadtteil er unterrichtet.
„Gewalt, Beleidigungen und Respektlosigkeiten gehören zu unserem Berufsalltag. Das ist bei der Polizei so und in der Schule leider nicht unbedingt anders“, sagte der Leitende Polizeidirektor Detlef Köbbel. „Wir wissen, dass viele Familien ihre Pflicht zur Erziehung der Kinder leider an die Schulen abgetreten haben. Gewalt“, so Köbbel, „hat die Ursache meist in der Familie.“ Er ermunterte übrigens auch die Schulen, im Notfall die Polizei zu rufen und keinen Gewaltakt womöglich aus falsch verstandener Rücksichtnahme auf die jungen Täter zu verheimlichen.