Essen. Pädagoge Jörg Massing arbeitet seit 2009 an einer Grundschule in Karnap, darf sich nun aber für seine Stelle nicht mehr bewerben. Ein Beispiel für Komplikationen der Inklusion.
Jörg Massing liebt seinen Job. Er kennt sich aus mit Kindern, die nicht der Norm entsprechen: die Probleme haben, sich zu konzentrieren, die zur Gewalt neigen und im Unterricht stören. Seit sechs Jahren ist der Erziehungswissenschaftler im GL-Bereich an der Maria-Kunigunda-Grundschule in Karnap tätig. GL steht für gemeinsames Lernen – 23 der 291 Schüler haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf und werden im Unterricht von Jörg Massing und zwei weiteren Kollegen betreut.
Massing tritt diese Stelle 2009 an. Nach einem zunächst auf ein Jahr befristeten Vertrag wird seine Stelle immer nur um jeweils ein halbes Jahr verlängert. Für Massing bedeutet das, sich zwei Mal im Jahr beim Schulamt bewerben zu müssen. Rechtlich ist dieses Procedere nach Angaben des Schulamts möglich, „wenn die Person wiederholt von vornherein – etwa durch Mutterschutz – befristete Stellen übernimmt“. Wenngleich es für ihn Unsicherheit bedeutete, habe dieses Verfahren immer funktioniert, beteuert Massing – bis die Schulleitung vor Beginn der Sommerferien ein Schreiben des Schulamts erhält.
Ausschreibung nur für Sonderpädagogen und Lehrer
„Anders als in den vorherigen Ausschreibungen gab es nun einen Passus, laut dem sich ausschließlich Sonderpädagogen oder Lehrer mit erstem und zweitem Staatsexamen bewerben können. Das schließt mich vom Bewerbungsverfahren praktisch aus. Gerade vor dem Hintergrund des Sonderpädagogen-Mangels ist das unverständlich“, sagt Massing, der ein Pädagogik-Diplom hat. Heißt im Klartext: Selbst einem Sportlehrer, der frisch von der Uni kommt und über keinerlei Kenntnis im Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern verfügt, würde der Vortritt gelassen.
Tatsächlich steht Essen wie viele andere Kommunen vor einer Herausforderung, was die Inklusion betrifft. Schulamtsleiterin Regine Möllenbeck spricht von einer „Durststrecke in der Übergangsphase“, da Sonderpädagogen nun sowohl an Förder- als auch an Regelschulen gebraucht würden. Gemeinsam mit dem Schulministerium werde derzeit an Lösungen gearbeitet, um etwa mit Weiterbildungen Abhilfe zu schaffen.
Jahrelang als Referent selbst Lehrer geschult
Jörg Massing fühlt sich vor den Kopf gestoßen – zumal er um viele Lehrer weiß, die im Unterricht ganz ohne Sonderpädagogen auskommen müssen. „Das Argument, nur Fachpersonal einzustellen, lasse ich nicht gelten. Ich mache den Job jetzt seit 31 Jahren“, sagt Massing, der mit Frau und Sohn in Stoppenberg lebt. Bevor er 2009 an die praktische Basis zurückkehrte, schulte er jahrelang als Referent selbst Lehrer: vor allem in seinem Fachbereich, der Gewaltprävention an Schulen. Auch darüber hinaus bringt der Erziehungswissenschaftler in der Stadt viele Steine ins Rollen, gilt als Vorreiter, was die Kooperation von Schulen mit Institutionen im Stadtteil angeht. Schließlich macht er sich als Referent selbstständig und ist gefragt, wird bundesweit von Regierungspräsidien sowie Landes- und Bundeskriminalämtern verpflichtet. „Ende der 1990er-Jahre wurde der Etat bei vielen Kommunen immer knapper und meine Auftragslage entsprechend dünner“, erinnert sich Massing.
Unterkriegen lässt er sich nicht, initiiert 2006 das Projekt „Dance for Tolerance“ und tourt mit dem damaligen Hip-Hop-Jugendweltmeister Pedram Zamani quer durch die Essener Schullandschaft. Durch die so geknüpften Kontakte kommt 2009 dann das Angebot der Karnaper Grundschule. Massing nimmt seine Arbeit auf und absolviert zahlreiche Fortbildungen zum Thema Inklusion und Förderung. Im vergangenen Dezember unterschreibt Massing seinen – vorerst – letzten Vertrag. Nach der Mail des Schulamts am 26. Juni informiert er die Eltern, die umgehend eine Unterschriftenaktion organisieren und sich solidarisch zeigen.
Essener Schulamt sieht keinen Handlungsbedarf
Ob diese Bemühungen fruchten werden, ist unklar. Das Schulamt jedenfalls sieht keinen Handlungsbedarf, wie es in einer Stellungnahme heißt: „Wie schon in den Vorjahren besteht seitens des Schulamtes die Absicht, vakante Planstellen an den Essener Grundschulen mit für diese Tätigkeiten bestausgebildeten Personen – und dies sind in der Regel die Absolventen des Lehramtes – zu besetzen.“ Nur, wenn dieser Bewerberkreis nicht zur Verfügung stehe, sei im Einzelfall zu prüfen, die Ausschreibung zu erweitern.