Essen. Viele Flüchtlinge haben traumatische Dinge erlebt und können ihr Leiden nicht benennen. Ein Essener Verein will ihnen frühzeitig helfen.

Bislang haben sie einen sperrigen Namen und ein Nischenthema, doch dieser Tage ist der „Verein zur interkulturellen Beratung und Betreuung im Gesundheitsbereich“ (Vibb) gefragt. In der Flüchtlingskrise erweist sich sein Fachwissen als wertvoll; so hat Vibb-Geschäftsführer Lutz Trettin erlebt, dass sich zu einer Veranstaltung mehr als 100 Leute anmeldeten – gerechnet hatten sie nicht mal mit der Hälfte.

Gegründet wurde der Vibb 2007, um Zuwanderern einen Weg durchs Gesundheitssystem zu weisen: Immer wieder zeigte sich, dass es hier sprachliche wie kulturelle Hürden gab. Regelmäßig schnitten ausländische Kinder bei den Schuleingangsuntersuchungen schlecht ab; wohl auch weil ihre Eltern die Vorsorgetermine versäumt hatten.

Als weiteres Phänomen nennt Trettin, dass man Migranten relativ selten in der Psychiatrie finde – aber dafür oft in der Notaufnahme: Da werde eine Psychose lange Zeit nicht erkannt, „dann rastet der Betroffene aus, die Familie verbarrikadiert sich und wählt die 112“.

Der Vibb versteht sich darum als Lotse durchs Gesundheits- und Sozialsystem: Hier weiß man, wo sich ein arabischsprachiger Facharzt findet, hier erklären Muttersprachler, wie man einen Pflegeantrag ausfüllt. Außerdem gehen Vereinsmitglieder in Kitas und werben bei den Eltern für den Besuch beim Kinderarzt. Im Vibb-Team arbeiten überwiegend Pfleger, Ärzte oder Sozialarbeiter, die selbst zugewandert sind; der Verein firmiert als Migrantenselbsthilfeorganisation.

Ehrenamtliche Helfer werden geschult

Längst berät man auch Zuwanderer, die an einer chronischen psychischen Erkrankung leiden. Gut 30 Betroffene werden in der eigenen Wohnung von Vibb-Mitarbeitern betreut. Zum Teil hätten diese Menschen auch unter anderen Umständen dauerhafte Hilfe benötigt, teils seien sie aber erst durch traumatische Erfahrungen in der Heimat, Flucht oder Entwurzelung erkrankt. „Wäre ihnen rasch geholfen worden, hätte man in einigen Fällen verhindern können, dass ihr Krankheitsbild chronisch wird.“ Leider erhielten zu wenige muttersprachliche Therapeuten eine Kassenzulassung, bedauert Trettin.

Er erzählt von einer jungen Kurdin aus Syrien, die als angehende Sozialarbeiterin herkam und jahrelang in einem Asylheim lebte, wo ihre seelische Störung unbehandelt blieb. Heute wird sie in Essen vom Vibb betreut: „Wäre es anders gelaufen, wäre sie jetzt nicht unsere Klientin, sondern eine Kollegin.“

Um solche Schicksale zu vermeiden, schult der Vibb jetzt Ehrenamtliche, die in Asylheimen arbeiten. Sie sollen erkennen, wer Hilfe braucht, und wissen, an wen sie sich wenden können. So seien viele Flüchtlinge mit dem Leben in der eigenen Wohnung noch überfordert. Trettin möchte das ambulant betreute Wohnen daher ausbauen. Ständig schreibe er dafür Stellen aus, bloß sei der Arbeitsmarkt für soziale Berufe wie leer gefegt: „Für einen arabischen Sozialarbeiter zahlen sie heute quasi Ablösesummen wie in der englischen Liga.“