Essen. Sie haben eine oft gefährliche Flucht hinter sich und ihre Eltern zurücklassen müssen. Nun hoffen drei junge Flüchtlinge, in Essen heimisch zu werden.

Sie sind sportlich und legen Wert auf coole Klamotten, gelegentlich muss er ihre Smartphones kassieren. „Es sind Jungs wie andere auch“, sagt Faruk Cevik, der als pädagogischer Leiter junge Flüchtlinge in einem Schullandheim im Essener Süden betreut. Sie stammen aus den Krisenregionen der Welt und sind ohne ihre Eltern nach Deutschland gekommen. Nur eins unterscheide sie von ihren Essener Altersgenossen: „Wir müssen hier kaum Motivationsarbeit machen, die Motivation bringen sie mit. Die wollen Leistungsträger sein.“

Shapur zum Beispiel ist erst seit zwei Monaten im Land. Auf einen Zettel notiert er für uns nicht nur seinen Namen, sondern: „Ich komme aus Afghanistan. Ich bin 16 und 2 Monate Jahre alt.“ Für die Unterhaltung ist er noch auf eine Übersetzerin angewiesen, aber er hört aufmerksam zu, wirft immer wieder deutsche Halbsätze ein.

Als sein Vater von den Taliban entführt wurde, schickte die Familie den Sohn in den Iran. Zwischen diesem Ziel und seiner Ankunft in Deutschland klafft eine Lücke von tausenden Kilometern und vielen ungesagten Worten. „Wenn die Jungen nicht von ihrer Flucht erzählen, fragen wir auch nicht“, sagt Faruk Cevik. Sonst könnten Traumata zurückkehren.

Sport spielt mehr als eine Nebenrolle

Manche Jugendliche seien wenige Monate unterwegs, andere mehr als ein Jahr. Einige mussten in der Türkei Geld verdienen, um ihren Weg fortsetzen zu können, andere waren im Iran in Haft. Sie haben Gewalt, Hunger und Einsamkeit erlebt, standen oft in Konkurrenz. Andere halfen einander.

Shapur jedenfalls mag nicht zurückblicken, sondern nach vorn. Er erlebe die Deutschen als sehr hilfsbereit und wolle ihnen dafür danken. Eines Tages möchte er studieren, um Augenarzt zu werden und seiner Familie zu helfen. So ernst ist dieser Wunsch, dass der begeisterte Fußballer sagt: „Statt Fußball möchte ich mich jetzt lieber auf die Schule konzentrieren.“

Doch neben dem Schulbesuch von 9 bis 15 Uhr spielt Sport im Alltag der jungen Männer mehr als eine Nebenrolle: Sie gehen Boxen, Rudern oder Schwimmen, spielen Basketball auf dem Gelände und jeder hat ein Fahrrad. „Wir versorgen Essens Sportvereine mit Nachwuchs“, sagt Cevik nur halb im Scherz. Einer der Afghanen hat in seiner Heimat für die Nationalelf gekickt – sobald er einen Spielerpass habe, solle er für die RWE-Jugendmannschaft antreten.

Deutsch-Lernen steht ganz oben auf der Prioritätenliste

Sport sorgt für Tagesstruktur und rasche Erfolgserlebnisse, wo es sonst so viel zu lernen gibt: Neben der Schrift, der Sprache, den Verkehrsregeln machen viele Jungen auch ihre ersten Demokratie-Erfahrungen, sagt Cevik: „Viele kommen aus feudalen Strukturen und lernen hier, ihr Zusammenleben in der Gruppe zu organisieren, Kompromisse zu schließen.“ Und schließlich zeige man ihnen ihre neue Heimatstadt vom Baldeneysee bis Zollverein. Dabei sind es 26 Not-Plätze, die hier in Schullandheimen geschaffen wurden, weil sämtliche Regel-Heime längst belegt sind. Angesichts der guten Betreuung spricht Jugendamtsleiterin Annette Berg jedoch lieber von „Basisplätzen“.

FlüchtlingeAbdulbaset formuliert das so: „Mir fehlt hier nichts.“ Der 18-Jährige stammt aus Aleppo, jener geschundenen Stadt, die zuletzt die Schlagzeilen aus dem Syrienkrieg beherrsche. Als das Geschäft seiner Eltern zerstört war und es weder Wasser noch Essen noch Hoffnung gab, ist er geflohen – mit seinem 13-jährigen Bruder. Seine Eltern wissen, dass ihre Söhne jetzt in Sicherheit sind, doch umgekehrt bleibt seine Sorge um Mutter und Vater. Vielleicht könne er hier eines Tages so wie sie ein Geschäft aufmachen, hofft Abulbaset. Handel, Textilien, das liege ihm.

Einen Berufswunsch hat auch Khaled: Kfz-Mechaniker. Der 16-jährige Afghane kann schon Auto fahren und hätte später gern einen BMW. Die Automarke kommt ihm mühelos über die Lippen, Probleme habe er bisweilen mit den deutschen Namen. Aber Deutsch-Lernen steht ohnehin ganz oben auf seiner Prioritätenliste, um anzukommen in diesem Land, dem er so dankbar ist – und: „Wie sollen wir ohne Sprache Freunde finden?“