Essen. Die erbitterte Debatte in der SPD zeigt offenbar Wirkung. Essen soll weitere 870 Flüchtlinge aufnehmen und wehrt sich gegen „Rechenfehler“ bei der Zuweisung.

Noch sind Essens Sozialdemokraten auf der Suche nach einer gemeinsamen Linie in Sachen Asyl. Doch die seit Wochen vor allem SPD-intern geführte Nord-Süd-Debatte scheint ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben: Nachdem die Genossen in einem ersten Schritt klar machten, dass sie die von der Stadtverwaltung geplanten Groß-Asyle mit jeweils 800 Flüchtlingen ablehnen und allenfalls 400 Personen pro Standort dulden wollen, legte Fraktionschef Rainer Marschan gestern im Gespräch mit dieser Zeitung nach: „Im Norden wird es keine drei Großflächen geben, das kann ich schon mal sagen“, formulierte der 65-jährige Frontmann der Sozialdemokraten im Rat – ohne zu verraten, welchen Standort er streichen will.

Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass seine Partei vor allem mit dem Gelände Am Handwerkerpark in Katernberg die größten Probleme hat. Nicht sehr viel weniger umstritten: das Grundstück der einst geplanten „Marina“ am Rhein-Herne-Kanal, am Fuße der Schurenbachhalde in Altenessen. Als dritte Großfläche im Gespräch ist ein Areal an der Hövelstraße.

FlüchtlingeNein, das sei keine Reaktion auf die wachsende Unruhe im Norden, sagte Marschan gestern. „Ich kann die Ängste der Menschen verstehen.“ Dass die Flüchtlingsdebatte seine Partei zerreißt, „diese Gefahr sehe ich nicht, wenn wir uns aktiv darum kümmern“. Insgeheim hofft der SPD-Chef im Rat, dass der Flüchtlingszustrom abebbt. Er hält es deshalb durchaus für denkbar, dass die Stadt in der Februar-Sitzung des Rates nur einen Teil der geplanten Asyl-Standorte absegnet, um Zeit zu gewinnen.

Dabei ist der Druck auf die Stadt nicht kleiner, sondern eher größer geworden, seit das Land auch die Großstädte im Lande dazu drängt, ihre Unterbringungs-Quote komplett zu erfüllen. In der Vergangenheit drückte man oft ein Auge zu, wenn geplante Unterkünfte nicht rechtzeitig fertig wurden, jetzt soll Essen wie auch Düsseldorf, Köln oder Duisburg nachlegen und noch in diesem Jahr tausende Flüchtlinge mehr aufnehmen.

Dabei, so der Vorwurf nicht nur aus Essen, gründet die Kalkulation der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg auf einem Rechenfehler, weil sie die Zahl der Flüchtlinge „künstlich aufbläht“, sagt Sozialdezernent Peter Renzel.

Die Helfer sind jetzt im Nachteil

Benachteiligt würden damit ausgerechnet jene Städte, die dem Land mit Standorten für Landeseinrichtungen immer wieder aus der Patsche halfen – Essen etwa mit der Erstaufnahme-Einrichtung am „Kutel“ in Fischlaken, mit dem Groß-Asyl im Altendorfer Opti-Gewerbepark oder ab März mit einer Notunterkunft an der Barkhovenallee in Heidhausen.

Die Bezirksregierung wiederum sieht sich ebenfalls im Recht und verweist auf die Rechenvorgaben im Flüchtlingsaufnahme-Gesetz. Immerhin, um im Rechtsstreit nicht zu viel Zeit zu verlieren, haben sich Stadt und Arnsberg erst einmal auf einen Kompromiss geeinigt. Danach muss Essen bis zum Jahresende noch zusätzlich 870 Flüchtlinge unterbringen. Renzel freut sich über diesen Erfolg am grünen Tisch, denn er bedeutet, dass die Stadt trotz akuter Platznot „auf die Belegung von Turnhallen auf Sicht wohl verzichten kann.“

Ende Februar steht dann ein Zeltdorf an der Vaestestraße in Burgaltendorf zur Verfügung, Anfang März eines an der Hamburger Straße in Frohnhausen, Mitte April das letzte an der Levinstraße in Dellwig. Womit man wieder im Norden der Stadt angekommen wäre, über den SPD-Fraktionschef Rainer Marschan sagt: In seiner Ratstruppe neue Asyl-Standorte durchzusetzen, „das wird schwierig.“