Essen. Mit einem Bündel neuer Standorte will die Stadt die Flüchtlinge gerecht verteilen. Zugleich greift der Oberbürgermeister die wachsende Unruhe auf.
- Oberbürgermeister Thomas Kufen: „Wir testen da den sozialen Frieden“
- Unterbringung in Wohnungen ist keine Alternative
- Neue Unterkünfte lassen noch Monate auf sich warten
Bei der Unterbringung der Flüchtlinge „muss die Stadt raus aus dem Krisen-Modus“ – das war die Ansage Thomas Kufens bei seinem Start als neuer Essener Oberbürgermeister. Dass dies nicht im Handumdrehen klappt, lag auf der Hand, doch nach 93 Tagen im Amt reift nun die Erkenntnis: Mit der Flüchtlingswelle wird die Stadt nur fertig, wenn sie, so der OB, „bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit“ geht.
Wo das Stadtoberhaupt diese Grenze zieht, lässt sich seit Donnerstag in einer 38-seitigen Ratsvorlage nachlesen. Die sieht einen Mix aus neuen Siedlungsflächen für 4.200 Flüchtlinge und angemieteten Gewerbe-Immobilien für weitere 1.000 vor, dazu Unterkünfte auf Brachen für 1.200 Asylbewerber und 1.400 Plätze in Wohncontainern, die bisherige Zeltstandorte ersetzen sollen. Hinzu kommt die vorläufige Rücknahme des Beschlusses, fünf Behelfseinrichtungen mit 900 Plätzen aufzugeben.
Mit diesem Plan, den der OB mit Blick auf den Landschaftsschutz wie auch angesichts der Verteilung im Stadtgebiet durchaus für „ausgewogen“ hält, sieht Kufen allerdings das berühmte Ende der Fahnenstange in Essen erreicht: „Mehr kann die Stadt nicht verkraften.“ Schon jetzt sehe er mit Sorge die wachsende Unruhe in der Bevölkerung, „wir testen da den sozialen Frieden.“
Innenministerium erhöht Druck auf Gemeinden
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Aber was, wenn die Flüchtlingswelle anhält und damit der Unterbringungsdruck weiter steigt? „Mir fehlt da“, bekannte der OB jetzt, „jede Fantasie, wo wir in größerem Umfang noch weitere Personen unterbringen könnten.“ Darum sein Appell, Essen nur noch registrierte und identifizierte Asylbewerber zuzuweisen, darum auch seine Forderung, das Land müsse die Abschiebung in sichere Drittstaaten forcieren: „Das führt sonst zu zusätzlichen sozialen Verwerfungen.“
Die Unterbringung in Wohnungen gilt jedenfalls nicht als Allheilmittel, auch wenn 10.000 davon stadtweit leer stehen: Bei jährlich 25.000 Umzügen innerhalb des Stadtgebietes würde so „ein knappes Gut noch knapper gemacht“, gab Planungsdezernent Hans-Jürgen Best zu bedenken. Dies zumal es immer mehr anerkannte Asylbewerber in die Metropolen zieht: Die syrische Gemeinschaft in Essen wächst und wächst.
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Was die Lage anno 2016 nicht erleichtert: Das NRW-Innenministerium erhöht dieser Tage den Druck auf die Gemeinden und fordert, in der Vergangenheit zugestandene Ausnahmen von der Zuweisung der Flüchtlinge nur noch auf äußerste Notfälle zu beschränken. Folge für Essen: In den kommenden Monaten kommen wohl noch mehr als die im Schnitt gezählten 700 Personen pro Monat.
Sozialdezernent: Keine Alternative zu Zelten
Schon jetzt weiß die Stadt nicht, wie sie die Unterbringungslücken im Jahresverlauf stopfen soll, denn selbst wenn sämtliche neuen Standorte den Segen der Politik bekommen: Bis die Container-Siedlungen stehen, dauert es mindestens sechs, womöglich neun Monate. Die neuen Siedlungsflächen sind sogar erst Anfang 2017 und im Fall der Wallneyer Straße sogar erst Ende 2017 verfügbar.
FlüchtlingeDabei drängt die Zeit, nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht: So schnell wie möglich soll die mit im Schnitt 2.029 Euro pro Platz und Monat extrem teure Unterbringung in Zelten beendet werden, eine Entscheidung, auf die Kufen am Donnerstag skeptisch zurückschaute: „Gelegentlich habe ich den Eindruck, dass man sich als Stadtverwaltung damals sehr schnell im Krisenmodus eingerichtet hat.“ Sozialdezernent Peter Renzel sieht dagegen auch rückschauend keine Alternative: „Es waren schlicht keine Wohncontainer verfügbar.“
Wie groß die Halbwertzeit des jüngsten städtischen Asyl-Plans ist, könnte sich schon am Freitag in einer Sondersitzung der SPD-Ratsfraktion erweisen. Für jeden Platz, der dort kippt, müsste ein neuer an anderer Stelle her. OB Kufen mag darüber nicht spekulieren: „Ich kann nur ein Angebot machen.“