Essen. . Die Katholische Telefonseelsorge sucht neue Mitarbeiter. Derzeit teilen sich 55 Freiwillige die Schichten – und empfinden das Ehrenamt als Bereicherung.

„Es tut so weh“, schluchzt die Anruferin. Es ist 1.20 Uhr nachts, der Telefonseelsorger hört zu. Die Frau erzählt vom Streit mit dem Ehemann, von Vorwürfen und Worten, die ahnen lassen, dass so etwas nicht mehr gut gemacht werden kann und die Wege sich wohl trennen werden. Wenige Worte und ständige Wiederholungen machen dem Telefonseelsorger deutlich, wie sehr die Anrufende außer sich ist und dass es einige Zeit des Gesprächs und geduldiges Zuhören und Abwarten braucht, um im Kontakt weiter kommen zu können. 55 Frauen und Männer teilen sich ehrenamtlich die Schichten in dem kleinen Büro der katholischen Telefonseelsorge. Sie wurden intensiv auf diese Arbeit vorbereitet. Im März nun beginnt die nächste Ausbildungsgruppe. Noch können sich Interessenten dafür anmelden.

Rund 19.000 Anrufe und 11.000 längere Gespräche kamen im vergangenen Jahr bei der Katholischen Telefonseelsorge in Essen an. Die Gründe, warum jemand die Nummer 0800 – 1110 222 wählt, sind sehr unterschiedlich. „Meistens geht es um psychische Erkrankungen und um körperliche Beschwerden, um Einsamkeit, um Streit mit dem Partner, um Stresspunkte des Lebens - und dazwischen so mancher Scherz- und Testanruf“, schildert Peter Heun, Leiter der Telefonseelsorge unter dem Dach der Caritas.

Jeder dritte Anrufende ist alleinstehend

Vier von zehn Anrufern sind zwischen 30 und 60 Jahre alt, jeder dritte Anrufende lebt alleine. Zwei bis drei Mal pro Woche äußern Anrufer den Wunsch, sterben zu wollen. Sie alle schätzen die Anonymität. Keine Namen. Die Telefonnummern werden nirgends registriert. Und keine Kosten. Die Telefonseelsorge kann man auch noch anrufen, wenn die Guthabenkarte im Handy leer ist. Die Rechnung zahlt die Telekom.

„Die Gemeinsamkeit bei den Anrufern ist das Gefühl einer Belastung, der Überforderung oder des Alleinseins“, berichtet Heun. Er nennt als eine wichtige Voraussetzung für diese Tätigkeit „die Fähigkeit, sich in die Gefühlswelt anderer Menschen hinein zu hören und die Last hinter den Schilderungen zu erfassen.“

Gespräche dauern im Schnitt 20 Minuten

Die meisten Gespräche dauern etwa 20 Minuten, eher selten geht es länger als eine Stunde. Den Dienst am Telefon teilen sich derzeit 55 Frauen und Männer. Sie tun dies ehrenamtlich. Sie kommen aus unterschiedlichen Lebenswelten und Berufen. Viele sind im Ruhestand oder im Vorruhestand, andere stehen am Anfang ihres Berufslebens oder suchen die Andersartigkeit dieser Tätigkeit als Gegengewicht zu ihrer Arbeitswelt. Viele stehen in der Lebensmitte und suchen nach neue Erfahrungen im sozialen Feld.

Die Ausbildung bei der Telefonseelsorge kostet nichts – außer Zeit, der Bereitschaft zu lernen, sich selbst und andere in den Blick zu nehmen. Es geht um Persönlichkeitsentwicklung, Gesprächsführung und die Fähigkeit, so hören zu lernen, dass es für den Anderen hilfreich ist. „Achtsamkeit und Wertschätzung zu entwickeln, ist der Gewinn für sich selber und für andere“, sagt Heun. Nach der Ausbildung und einer offiziellen Aufnahme verpflichten sich Ehrenamtliche zu zwei vierstündigen Tagschichten im Monat und einem Nachtdienst.

Einblick in andere Lebenslagen

Geld gibt es dafür nicht. Ruhm und Ehre auch nicht, denn die Ehrenamtlichen sollen in ihrem Umfeld nicht über ihre Tätigkeit sprechen. „Aber alle berichten von einer überraschenden, zuvor kaum erwarteten Bereicherung ihres Lebens; der Einblick in andere Lebenslagen relativiert so manches, über das man selber klagt und macht den Blick weit für das Verständnis von Leben“, weiß Heun. Er hofft, dass sich auch für die nächste Ausbildungsgruppe im März 2016 wieder genügend Interessierte melden. „Ich freue mich über Anrufe und ein erstes Gespräch zum Kennenlernen“, sagt er (Infos dazu in der Box unten).

Das Telefonat mit der Anruferin, die von ihrem Ehestreit erzählt, dauert in dieser Nacht länger. Erst nach 20 Minuten beruhigt sie sich, erst dann ergibt sich die Möglichtkeit, im Gespräch zu vertiefen, warum die Beleidigungen so trafen. Nach 50 Minuten ist ein Punkt erreicht, wo ein deutliches Aufatmen signalisiert, dass die Anruferin im Augenblick wieder Boden unter den Füßen spürt. Ein guter Zeitpunkt, das Gespräch abzuschließen. Der Ehrenamtliche der Telefonseelsorge holt sich erst einmal einen Kaffee, lässt das Gespräch noch etwas nachklingen, bevor er das Telefon wieder freigibt. Noch vier Stunden bis zur Ablösung.