Essen. . Die Stadt Essen will Freiflächen bebauen um Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Essens Landwirte halten dieses Argument für vorgeschoben. Nicht nur sie lehnen eine Umwandlung in Bauland ab.

Es ist noch gar nicht lange her, da formulierte Landwirt Hans Wortberg folgenden Satz: „Die Stadt muss sich die Frage stellen, ob Landwirtschaft in Essen noch gewünscht wird.“ Das war im Januar dieses Jahres. Nicht zum ersten Mal wehrte sich die Kreisbauernschaft dagegen, dass die Stadt Ackerland in Bauland umwandeln könnte. Nun liegt das Thema wieder auf dem Tisch, schneller als es Essens Landwirten lieb sein kann. Die Empörung darüber ist groß: „Herr Kufen hat im Wahlkampf erklärt, dass er auf unserer Seite ist und dass Freiflächen nicht bebaut werden sollen. Warum das auf einmal nicht mehr gelten soll, das muss er uns mal erklären“, ereifert sich der Vorsitzende der Kreisbauern, Christoph Ridder.

Die Landwirte stehen mit ihrem Protest nicht alleine da. Fast überall formiert sich Protest: Am Heuweg in Überruhr machen Anwohner mobil gegen die Pläne der Stadt. In Bedingrade formiert sich Widerstand im Internet: „Rettet das Hexbachtal“ heißt es im sozialen Netzwerk Facebook.

Aus Sicht der Stadt ist es auch eine ökonomische Frage

Nun, die Antwort des Oberbürgermeisters auf die Frage des Kreisbauernführers dürfte in etwa so ausfallen: Der Druck, Tausenden von Flüchtlinge ein sicheres Dach über dem Kopf anbieten zu können, sei so groß, dass die Stadt nicht umhin komme, Freiflächen zu bebauen. Die Leute sollen raus aus den Zelten. Aus Sicht der Stadt ist dies auch eine ökonomische Frage. Es ist zweifellos wirtschaftlicher in Gebäude zu investieren, statt Millionen für provisorische Zeltstätte auszugeben, die zudem nur angemietet sind.

Weil die Zeit drängt, geht es in die freie Landschaft. 65 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche wären betroffen, hat Ridder ausgerechnet. Dass anderthalb Mal so viel hinzukäme, weil der Eingriff in die Landschaft per Gesetz auszugleichen wäre, sollte tatsächlich gebaut werden. „Darüber redet niemand“.

Eine Existenzfrage

Die Argumente dagegen sind die gleichen wie Anfang des Jahres, sei es der wichtige Beitrag der Freiflächen zu Stadtklima und Klimaschutz, seien es ökonomische. Nur wenige Landwirte beackern die eigene Scholle, rund 85 Prozent der Flächen sind gepachtet. Veräußern Großgrundbesitzer wie Thyssen-Krupp oder der Regionalverband Ruhr ihr Land, stellten sich für die Pächter schnell existenzielle Fragen, sagt Ferdinand Scheidt, der sein Feld in Fulerum bestellt. Seit 1860 ist der Hof in Familienbesitz. Sechs Hektar stehen für ihn auf dem Spiel, für andere ist es ein Vielfaches dessen. „Einmal bebaut, ist die Fläche für die Landwirtschaft verloren. Dann ist der Boden so stark verdichtet, dass er sich nicht mehr beackern lässt“, sagt Scheidt. Selbst wenn die festen Unterkünfte nach drei bis fünf Jahren wieder verschwinden sollte, wäre ihnen also nicht geholfen. Ohnehin halten sie für vorgeschoben, dass es der Stadt in erster Linie darum geht, Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Dass Interesse bestehe doch darin, Grund und Boden zu versilbern, in dem daraus lukratives Bauland wird. „Mit aller Gewalt soll jetzt durchgeboxt werden, was bislang nicht möglich war“, schimpft Manfred Rohleder aus Heidhausen.

Als bloße Verhinderer dastehen, nein, das wollen die Bauern nicht. Warum die Stadt nicht Industriebrachen für eine Bebauung ins Auge fasse, warum nicht stillgelegte Friedhofsflächen oder den Flughafen Essen/Mülheim, der politisch nicht mehr gewollt ist, fragt Christoph Ridder. Kurz gesagt: Die Verwaltung möge sich mehr Zeit nehmen.

Zeit? Am 16. Januar soll der Rat der Stadt entscheiden.