Essen. Stefan Kleinohl (46) aus Essen-Kettwig ist einer der wenigen Männer, die sich dazu entschieden haben, als Tagesvater zu arbeiten.
Mit einem „Tagesvater“ ist es wie mit der „Schirmfrau“. Das Wort gibt es eigentlich gar nicht. Wenn eine Frau eine Schirmherrschaft übernimmt, nennt man sie Schirmherrin. Wenn eine Tagesmutter, die beruflich fremde Kinder betreut, in Wahrheit ein Mann ist, nennt man ihn Tagesvater – aber wer sagt das schon? „Tagespflegepersonen“, heißt es amtlich und geschlechtsneutral, aber in Wahrheit gibt es mehr als 500 Tagesmütter in Essen und gerade mal 20 Tagesväter. „Tagespflegepersonen“ stellen mit ihrer Arbeit – vor allem in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes – eine Alternative zur Kita dar. „Männer machen vor allem dort mit, wo sie ihre Partnerin als Tagesmutter unterstützen“, heißt es. „Dass ein Mann allein als Tagesvater arbeitet, gibt es recht selten.“
Willkommen bei Stephan Kleinohl. Er öffnet die Tür seines Hauses in Kettwig-Ickten; auf dem Arm hat er Kleinkind Lisa (fast eins); zwischen seinen Füßen wuselt Ben (knapp zwei). Seit Anfang des Jahres arbeitet der 46-Jährige als Tagesvater; Teile des Erdgeschosses des Hauses hat er in Räume verwandelt, deren Inneneinrichtung einer echten Kita in fast nichts nachstehen: Kindermöbel („die sind teilweise noch von mir selbst“), Spielzeugteppiche, Kissen und Sitzsäcke zum Lümmeln und Toben; es gibt sogar eine kleine Kletterwand, selbstverständlich auch eine Wickelkommode.
„Es ist wie ein Unternehmen“
Eigentlich, von Hause aus, ist Kleinohl Handwerker, doch spätestens seit der Geburt seines eigenen Sohnes vor drei Jahren, erzählt Kleinohl, „reifte so langsam die Entscheidung, dass ich mich verändern will.“ Deshalb arbeitet er jetzt als Tagesvater, seine Ehefrau ist als Büro-Angestellte tätig. Gibt es Vorbehalte von jungen Müttern, die sich nicht trauen, ihr Kind einem Mann in die Obhut zu geben – und nicht einer Frau? „Kann schon sein, krieg’ ich aber nicht mit“, sagt Kleinohl und lacht. Es ist das Diakoniewerk, dem er sich angeschlossen hat, das für die Vermittlung von Plätzen zuständig ist. Dort laufen die Anfragen auf.
Auch Blicke des Befremdens von Freunden oder anderen Männern hat Kleinohl bislang nicht registriert: „Ich weiß, dass ich ein Paradiesvogel bin, aber ich habe die Entscheidung, als Tagesvater zu arbeiten, nie bereut.“ Drei Kinder betreut er, fünf könnte er maximal, „doch bei vieren mach’ ich derzeit erst mal Schluss.“ Und er macht alles das, was eine Tagesmutter auch macht: Spielen, vorlesen, draußen Kastanien sammeln, basteln, kleine Feste feiern, den Jahreszeiten entsprechend, und natürlich: Wickeln, die Kinder zum Mittagsschlaf hinlegen, füttern – das ganze Programm. „Es ist nicht so, dass das nicht anstrengend wäre“, sagt Kleinohl, der seine Betreuungszeiten täglich von 7.30 Uhr bis 16 Uhr und auch mal länger anbietet. „Aber ich bin froh, dass ich nicht mehr wie früher als Handwerker auf Baustellen arbeiten muss.“
„Sie sind selbstständig, es ist wie ein Unternehmen“
Tagespflege ist viel mehr als Kinderbetreuung: „Sie sind selbstständig, es ist wie ein Unternehmen.“ Kleinohl ist in Personalunion: Betreuer, Koch, Hausmeister, Reinigungskraft, Notarzt, Seelentröster, Buchhalter, Einkäufer, Sekretär, Geschäftsführer und – na klar: Nikolaus. „Doch dieser Job gibt mir viel Sinn, viel mehr Sinn als meine früheren Tätigkeiten.“
Die Vorzüge von Tagespflege haben längst viele Eltern in Essen erkannt: Die Kindergruppen sind kleiner als in einer Einrichtung; die Bindung zum Betreuer ist eng, und auf Wünsche von Eltern kann sehr flexibel eingegangen werden. Infos: ig-kindertagespflege.de. Verbände beschäftigen Tagespflegepersonen: AWO, Diakoniewerk, SkF, VAMV. Im letzten Kindergartenjahr gab es stadtweit knapp 2000 Betreuungsplätze bei knapp 530 Kindertagespflegepersonen.