Essen. . Deutsche und chinesische Wissenschaftler suchen nach einer Immuntherapie für HIV- und Hepatitis-Patienten – unter Federführung der Essener Uni.

Finger weg“, warnt der Professor, als sich die Hand der Besucherin der Klinke der Labortür nähert. Mit Viren ist nicht zu spaßen. Und hier, im Robert-Koch-Haus, im Institut für Virologie der Essener Uniklinik, gibt es viele. Denn hier versuchen sie herauszufinden, wie man sie unschädlich macht.

Genauer gesagt: suchen Prof. Ulf Dittmer und sein Team nach Therapien oder Impfstoffen für HIV-Kranke und Patienten, die an Hepatitis B oder C leiden. Alle drei Infektionen sind chronisch, alle drei werden durch Viren verursacht. Weltweit sind über 500 Millionen Menschen betroffen, sieben Prozent der Weltbevölkerung!

„Viren sind faszinierend, weil sie relevant sind“

Eine unvorstellbar hohe Zahl – die zu Dittmers Begeisterung fürs Thema beitrug: „Viren sind faszinierend“, sagt der promovierte Biologe, der im Fach Medizin habilitierte, „weil sie Relevanz haben.“ Dabei hatten die meisten seiner Kollegen das Thema Ende der 70er-Jahre schon abgehakt; Viren, dachte man, spielen keine große Rolle mehr. Dann kam Aids.

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Die Essener wollten (zusammen mit Bochumer und chinesischen Forschern, siehe Box) zunächst auf molekularer, also auf der allerkleinsten Teilchen-Ebene herausfinden, wie genau es dem HI-Virus und den beiden ähnlich agierenden Hepatitis-Viren gelingt, dem Immunsystem zu entgehen – um dieses dann so zu stärken, dass es die Viren bekämpfen kann. Ein Ansatz, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft für so spannend hält, dass sie ihn als Sonderforschungsbereich und Transregio-Programm (SFB/TRR60) fördert – als einzigen mit China im Bereich der Medizin. Mehr Anerkennung ist kaum möglich. Unter Federführung der Essener Uni – Dittmer ist Projekt-Sprecher – kooperieren 80 deutsche und chinesische Koryphäen verschiedener Disziplinen.

Manche machen sich unsichtbar, andere manipulieren die „T-Regs“

Was sie bereits herausfanden: Bestimmte Viren machen sich unsichtbar fürs Immunsystem, indem sie sich ihm systematisch anpassen. Andere manipulieren bestimmte Bereiche der körperlichen Abwehrmechanismen, die „T-regulatorischen-Zellen“ (T-Regs). Normalerweise bremsen die „T-Regs“ die „Killerzellen“ des Immunsystems, nachdem diese die eindringenden Viren vernichtet haben. Das tun sie, um eine Selbstzerstörung, eine Autoimmunerkrankung, zu verhindern. Das HI-Virus aber, beobachtete Dittmer, vermehrt die „T-Regs“ gezielt, stoppt so die Killerzellen, schaltet damit die Immunabwehr gegen sich selbst ab. Über 160 Veröffentlichungen zeugen von der Bedeutung dieser Erkenntnis, u.a. im „Nature Paper“, dem führenden Wissenschafts-Journal. Es veröffentlicht gerade mal 0,3 Prozent aller eingereichten Beiträge. . .

Im nächsten Schritt geht es darum, Therapien zu entwickeln, einen Impfstoff für Erkrankte zu finden. Denn die Betroffenen leiden schwer: an Aids die HI-Infizierten, an Krebs oder Leberentzündungen die Hepatitis-Betroffenen. „Nur 50 Prozent der Hepatitis-Patienten kann man helfen. Die Heilung einer HIV-Infektion ist bisher unmöglich“, sagt Lu Mengji, Stellvertreter Dittmers und der erste Wissenschaftler chinesischer Herkunft, der je in Essen zum Professor berufen wurde.

„Das eine Allheilmittel wird es nicht geben“

Zwar gibt es eine Impfung, die einer Hepatitis-B-Infektion erfolgreich vorbeugt – bereits Erkrankten hilft sie nicht. Prof. Lu arbeitet an einer Kombitherapie, testet sie an Murmeltieren. Die ersten heilte er bereits. Vollständig. „Die chronische Infektion ist weg“, berichtet Lu. „Das glückte nie zuvor.“ Zwölf Jahre wartete er auf diesen Erfolg, nun soll es schon im nächsten Jahr erste klinische Experimente geben.

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Auch was den Kampf gegen die Retroviren (zu denen das HI-Virus zählt) angehe, „sind wir auf dem richtigen Weg“, ist Dittmer überzeugt. Früher belächelten ihn die Kollegen bestenfalls milde, wenn er ihnen wieder mit seiner Immuntherapie kam. „Das wird nie funktionieren“, sagten sie. Heute weiß Dittmer: Es wird. Auch gegen Retroviren wird man wirksame Medikamente finden. Nicht sofort, und es wird auch nicht das eine Allheilmittel sein. „Wir mussten lernen, dass nur eine Kombination verschiedener Immuntherapien erfolgreich sein kann“, erklärt der Virologe. „Aber wir sind da, wo wir hin wollten!“

Könnte das dem TTR60 eines Tages sogar den Nobelpreis bescheren? „Sicher nicht“, winkt Dittmer ab. „Die Welt sucht nach einem prophylaktischen HIV-Impfstoff. Wer den findet, bekommt sicher den Nobelpreis, nicht aber der, der an einem therapeutischen arbeitet.“ An dieser Stelle schreitet Hepatitis-Experte Lu Mengji ein. Ein Mittel gegen Hepatitis B zu finden, sei schon „sehr, sehr wichtig für die Weltgesundheit“, grinst er. Könnte also doch was werden, das mit dem Nobelpreis für Essener Forschung!

Hintergrund: Sonderforschungsbereich SFB/TRR60

Die Sonderforschungsbereiche (SFB) gelten als Anerkennung und Aushängeschild für exzellente Forschung. Die DFG, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, fördert sie bis zu zwölf Jahre lang. Alle vier Jahre erfolgt eine Begutachtung der Ergebnisse.

  • Das Transregio-Programm ist eine Variante des klassischen Sonderforschungsbereichs, die von mehreren Hochschulen gemeinsam beantragt wird.

  • Der „SFB/TRR60: Interaktion von Viren mit Zellen des Immunsystems bei persistierenden Virusinfektionen“ wurde erstmals 2009 gefördert (mit 6,8 Mio Euro), 2013 gewährte die DFG dem Projekt weitere 7,9 Mio Euro und die Verlängerung bis 2017. Die nächste wäre die letztmögliche.

  • Beteiligt sind neben der federführenden Uni Duisburg-Essen die Ruhr-Uni Bochum sowie drei Hochschulen in Wuhan und Shanghai. Die Kooperation mit China sei wesentlich für den Erfolg, sagt Ulf Dittmer, der gerade erst vom jährlichen Workshop aller Forscher aus Wuhan zurückkehrte. Inzwischen ist sie sogar Thema der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen.