Essen. . Dass die Dellwiger zusammenhalten, bewies der erfolgreiche Kampf um das Freibad „Hesse“. Folge 20 unserer Stadtteil-Serie „60 Minuten in...“.
Wir treffen Joachim Thews am Eingang von „Hesse“. „Vor ein paar Jahren haben wir hier noch demonstriert“, erzählt der 68-Jährige und blickt zufrieden über das weitläufige Gelände am Ufer des Rhein-Herne-Kanals. Nein, wie so viele im Stadtteil wollte auch Thews nicht tatenlos zusehen, wie die Stadt das Freibad einfach dicht macht. Der Kampf um „Hesse“ wurde ein Politikum. Spätestens als die SPD den Slogan „Hesse ist überall“ zu ihrem Leitmotiv im Kommunalwahlkampf 2009 machte, dürfte sich bis in den letzten Winkel herumgesprochen haben, wo „Hesse“ liegt: im Essener Nordwesten, in Dellwig.
Joachim Thews ist dort seit 45 Jahren zuhause. Wohnungen waren Anfang der 1970er Jahre knapp in Essen. Als der Allbau in der Straße Pferdebrink baute, zögerte Thews, der an der Eisernen Hand groß geworden ist, nicht lange. Neubau, 74 Quadratmeter mit Balkon. – „Da wohnen wir heute noch.“
1960 hieß es Schicht im Schacht auf Zeche Levin
Wo Fasane, Feldhasen und Turmfalken leben
Er heißt zwar Gleispark Frintrop, doch der ehemalige Sammelbahnhof befindet sich eindeutig auf Dellwiger Boden. Wo früher Güterzüge lärmten, hört man heute Vögel zwitschern und Heuschrecken zirpen. Auf dem zurückgebliebenen Schottermaterial der einstigen Industriebrache hat sich über viele Jahre nahezu ungestört eine einzigartige Naturlandschaft entwickelt. Sie zählt heute zu den artenreichsten Standorten im Ruhrgebiet: Feldhasen, Turmfalken und Fasane leben hier.
Dellwig steckte damals noch mitten drin in schweren Zeiten, die mit dem Begriff Strukturwandel nur unzureichend beschrieben werden. Schon 1960 hieß es Schicht im Schacht auf Zeche Levin. Fast ein Jahrhundert verdienten die Kumpel hier mit harter Arbeit ihr Brot – und förderten nicht selten mehr Wasser als Kohle, weil die Stollen in schöner Regelmäßigkeit im Grundwasser absoffen. An Zeche Elend, wie die Schachtanlage deshalb im Volksmund hieß, erinnert noch die Gastwirtschaft am Ausgang der Levinstraße; ein imposanter Bau, familiengeführt in vierter Generation, der als Filmkulisse für jeden Streifen übers Revier a la „Das Wunder von Bern“ eine Idealbesetzung wäre.
Das Zechengelände ist heute ein Gewerbegebiet, die alte Halde – in den 70er Jahren noch verbotener Abenteuerspielplatz – längst abgetragen. Ein Förderrad der Zeche haben sie in den 1980er Jahren vor der Kirche St. Michael aufgestellt, deren Turm den Ortskern überragt.
Der Einzelhandel hat es schwer
Wer mit offenen Augen im Stadtteil unterwegs ist, dem bleibt nicht verborgen, dass Dellwig bessere Zeiten erlebt hat. Die inhabergeführten Fachgeschäfte an der Haus-Horl-Straße und am Kraienbruch gibt es nicht mehr. Der Einzelhandel hat es schwer, auch hier. Alteingesessene führen das auf den Bau der Unterführung am Kraienbruch zurück.
Zwischen Biedermeier und Barock
„Bauer Brömse“ an der Schilfstraße ist eine Stück Idylle und eine Attraktion – nicht nur für Kinder, die auf der Koppel reiten lernen. Bäuerin Gitta Brömse ist ein sprudender Quell an Ideen, ihr Hofcafe ein Sammelsurium aus antiken Möbeln, aus Gelsenkircher Barock und Schätzchen aus den 1970ern. Die Landwirtin hatte ihren Laden eigentlich nur für eine Geburtstagsfeier dekorieren wollen. Längst fühlen sich ihre Gäste in diesem einladenden Stilmix wohl bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen. Wenn ihr das Wetter doch nur die Erdbeerernte nicht verhagelt hätte. . .
Dabei waren sie in Dellwig froh, als die „Glück-Auf-Schranke“ an der Köln-Mindener-Bahn für immer geschlossen wurde. Spötter behaupten: Nur wer Glück hatte, fand die Schranke geöffnet vor. Alle anderen standen sich die Beine in den Bauch, bis die nicht enden wollenden Güterzüge den Übergang endlich hinter sich ließ. Nur: Die Unterführung wurde ausschließlich für Fußgänger gebaut, für Autos wurde der Kraienbruch zur Sackgasse. Ob sich der Niedergang des Einzelhandels allein mit diesem planerischen Fehler erklären lässt? „In 15 Minuten sind wir im Centro“, schwärmt Joachim Thews. Das nahe Einkaufszentrum in Oberhausen zieht Kaufkraft an, auch aus Dellwig.
Dellwig hat auch ein Stück Idylle zu bieten
Thews lebt gerne hier. Der 68-Jährige schwärmt vom Radweg am Kanal und von der Nachbarschaft. „Hier kennt jeder jeden.“ Auch wenn sich vieles verändert hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Nur noch selten ziehen Ruderer ihre Bahnen auf dem Rhein-Herne-Kanal.
Essener Stadtteilwappen und ihre Bedeutung
Die mäandernde Emscher
Das Wappen ist ein sogenanntes „redendes Wappen“; Dellwig stammt von Dalewic, wie es im 13. Jahrhundert genannt wurde. Hiermit ist das Schutz bietende Tal an der Emscher gemeint. Das Wappen ist an das der Herren von Dellwig angelehnt. Es erinnert an die damals mäandernde Emscher mit ihren aalförmigen Einbuchtungen. Das aus der Gegend von Dortmund stammende Geschlecht Dellwig, vielfach mit hiesiegem Adel verwandt, hatte unter anderem der Drostenamt der Reichsabtei Werden und das Erbmarschallamt des Stiftes Essen inne.
Und auf dem Aschenplatz am Scheppmannskamp ist das letzte Derby zwischen der DJK 1910 und dem DSC 1928 längst abgepfiffen. Die Duelle zwischen den beiden Vorortclubs zählten zu den umkämpftesten im Essener Amateurfußball; 2001 fusionierte der kleinere DSC mit Ruwa Dellwig, dem dritten im Bunde, der auch Hesse betreibt, womit sich der Kreis an dieser Stelle schließt.
Zum Abschied führt Thews uns auf eine Tasse Kaffee in die nahe Landscheune von „Bauer Brömse“. Die grasenden Pferde auf der Weide lassen erahnen wie es einstmals ausgesehen haben muss im Emscherbruch. Ein Stück Idylle, auch das hat Dellwig zu bieten.
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