Essen. Die Zahl der hochbetagten Essener ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Trotzdem verteilte die Stadt weniger Blumen an Jubilare.

Essens Bevölkerung wird immer älter, und diese erfreuliche Langlebigkeit hat nicht nur Auswirkungen auf die Infrastruktur, sondern auch auf die Gratulations-Kultur: Längst kann die Stadt nicht mehr jeden Jubilar mit großen Aufwand ehren. Geld zur Goldhochzeit gibt’s schon lange nicht mehr (Text unten), nun lösen die Bezirksvertretungen auch den „Solidartopf für Ehe- und Altersjubiläen“ auf.

Seit 2001 hatten acht der zehn Stadtteilparlamente in diesen städtischen Solidartopf eingezahlt, zuletzt je 2120,76 Euro pro Jahr. Wenn sie dann vor Ort Blumen für einen Jubilar kauften, ging die Rechnung an die Stadt. „Bloß hat die nur fünf Euro gezahlt, dafür kriegen Sie keinen vernünftigen Strauß mehr“, klagt Helmut Kehlbreier (SPD), Bezirksbürgermeister im Stadtbezirk IV (Borbeck). Noch dazu habe es für Knauserigkeit der Stadt keinen Grund gegeben; der Solidartopf sei so gut gefüllt gewesen, dass Geld übrig blieb. „Das landete beim Kämmerer“, ärgert sich Kehlbreier.

Frank Mußhoff begrüßt das Aus des Solidartopfs

Das Missverhältnis zwischen der Einzahlung von gut 2000 Euro und Ertrag habe sich jüngst verschärft, so Kehlbreier: Während sein Bezirk von Dezember 2012 bis Dezember 2013 noch 1650 Euro aus dem Solidartopf erhielt, waren es 2014 nur 1191 Euro. Sprich: Borbeck schenkte dem Stadtetat fast 1000 Euro und sollte 90- und 100-Jährige mit kümmerlichen Sträußen abspeisen.

Eine ähnliche Rechnung hat man auch in der Stadtmitte aufgemacht. „Ich finde es schwierig, eine 100-Jährige mit einer Mini-Topfpflanze zu besuchen“, sagt Bezirksbürgermeister Frank Mußhoff (SPD). Er begrüßt das Aus für den Solidartopf, obwohl sein Bezirk früher von diesem profitierte. Doch von 2013 auf 2014 sei die Zahl der Sträuße, die er qua Amt überreichte von 360 auf 300 gesunken. Und dass obwohl die Zahl der über 90-Jährigen zunehme: 2014 feierten 6063 Essener ihren 90. oder einen noch höheren Geburtstag – 271 mehr als 2013.

Acht bis zehn Euro pro Strauß

Früher aber wurden die Jubilare von Mitarbeitern der Stadt angerufen und gefragt, ob sie mit dem Besuch des Bezirksbürgermeisters einverstanden seien. Auch dieser Service wurde längst als zu personal- und kostenintensiv eingespart. Nun erhalten die Senioren eine Postkarte, die sie zurücksenden müssen, wenn der städtische Blumenbote kommen soll. Für viele alte Menschen ist diese Hürde zu hoch. „Das hat anfangs zu einem völligen Einbruch der Ehrungen geführt, jetzt wird es wieder etwas mehr“, sagt Kehlbreier.

Etwas mehr soll in Zukunft auch für die Sträuße ausgegeben werden: Acht bis zehn Euro lautet der Vorschlag, den die Bezirksvertretungen in nächster Zeit nach und nach absegnen sollen. Nach dem Ende des Solidartopfes werden sie das in Zukunft aus ihrem eigenen Etat bezahlen – und zwar gern, wie Kehlbreier betont. „Ich hab’ schon früher aus eigenen Mitteln etwas drauf gelegt, wenn ich 100-Jährige besuchte.“

Unbezahlbar ist übrigens der Einsatz der Bezirksbürgermeister: Bis zu 350 Besuche hat etwa Kehlbreier im Jahr gemacht, manchmal vier pro Tag – dabei ist er auch schon 77.