Essen. . Industrie 4.0 verändert die Arbeit. Risiken gibt es, aber auch Chancen. Ausgerechnet die Gewerkschaft mahnt Firmen, das Thema nicht zu verschlafen.

Roboter verlassen den Käfig, übernehmen mehr und mehr Tätigkeiten, Sensoren sammeln Daten, verknüpfen die Flut an Informationen zu neuem Wissen. Und wo bleibt der Mensch? Ist die fortschreitende Digitalisierung der Wirtschaft Fluch oder Chance für Arbeitnehmer?

Holger Kowohl scheint bei der Antwort zerrissen zu sein. „Die Digitalisierung eröffnet sicher neue Möglichkeiten, es gibt aber auch Risiken“, sagt er. Kowohl ist Betriebsrat bei Schrader Industriefahrzeuge. Ein mittelständisches Unternehmen in der Manderscheidtstraße mit rund 200 Mitarbeitern, das Gabelstapler verkauft und repariert.

Angst um Datenschutz

Der robuste Diesel-Gabler ist dort mittlerweile ein Auslaufmodell. Modelle, vollgestopft mit Elektronik, sind die Zukunft. Kleine Boxen darin zeichnen Daten auf, wissen, wann die Wartung ansteht, was repariert werden muss, wie lange die Ausfallzeit ist – also wie lange der Techniker für die Wartung oder die Reparatur braucht hat. Unternehmen, die solche Gabelstapler einsetzen, haben Zeit- und Kostenvorteile. Für Schrader ein wichtiges Verkaufsargument. Doch was bedeutet das für die Arbeit von Kowohls Kollegen? Wird es künftig noch den althergebrachten Techniker mit dem Schraubenschlüssel geben, der alles reparieren kann? Oder reicht künftig ein Mitarbeiter aus, der ganze Modulgruppen einfach nur noch austauscht? Und was ist eigentlich mit den Daten, die da aufgezeichnet werden? Können sie einst gegen die Mitarbeiter verwendet werden?

Es ist das Thema Digitalisierung,, das unter dem Begriff Industrie 4.0, daherkommt und derzeit mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt. Und es treibt verstärkt auch die Gewerkschaften um. In dieser Woche startete die IG Metall Essen eine Diskussionsreihe zur Zukunft der Arbeit. Die Essener sind in ihren Reihen damit Vorreiter in NRW. Sie wollen Antworten auf immer drängendere Fragen finden – vor allem für ihre eigene Arbeit. Der Tenor ist generell positiv: „Die Digitalisierung eröffnet Chancen. Nur wir müssen und wollen sie mitgestalten“, sagt IG-Metall-Sekretär Holger Neumann. Für die Gewerkschaft geht es dabei nicht nur um die Änderung von Arbeitsinhalten und Arbeitsteilung, es geht genauso um Qualifizierung, neue Arbeitszeit-Modelle, um Datenschutz. Die Inhalte der Mitbestimmung werden sich verändern. Die Gewerkschaften müssen sich dem stellen, denn die Entwicklung lässt sich ohnehin nicht mehr aufhalten.

Bei Konzernen wie Thyssen-Krupp hat das Thema längst Fahrt aufgenommen, wie Cheftechniker Alexander Gulden deutlich machte. Denn die Digitalisierung liefert heute Daten, die früher in dieser Masse nicht verarbeitet werden konnten, die heute zur Qualitätssteigerung und zur Prozessoptimierung genutzt werden. Wer da vorne mitmischt, hat Wettbewerbsvorteile.

Mittelstand zurückhaltend

Der Mittelstand aber ist zurückhaltend. In Essen und im Ruhrgebiet mehr noch als in anderen Regionen. Klaus Kost von der Essener Beratungsfirma Project Consult will der Region zwar nicht das harte Wort Innovationsfeindlichkeit ins Zeugnis schreiben. „Aber die Unternehmen hier zeichnen sich nicht gerade als Treiber aus“, meint er. Das Ruhrgebiet aber müsse aufpassen, dass es nicht von den südlichen Bundesländern weiter abgehängt wird. Denn eines hat auch die IG Metall Essen erkannt: Wenn die Unternehmen die Digitalisierung nicht vorantreiben, dann könnten am Ende mehr Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben, als wenn sie es tun.

Deshalb wirbt die Gewerkschaft dafür, das Potenzial in Essen und im Ruhrgebiet zu nutzen, dazu gehört auch die vielfältige Hochschullandschaft. Vielleicht ist es etwas hoch gegriffen, wenn Gewerkschaftssekretär Holger Neumann eine Art Ruhr-Valley vorschwebt – angelehnt an das Silicon Valley. Aber ohne Visionen wird es nicht gehen.