Essen. Das Jugendpsychologische Institut bietet an vier Standorten in Essen Beratung für Eltern und Kinder – auch bei den ganz normalen Familiendramen.
Wenn sie im Supermarkt in der Schlange steht und alltägliche Familiendramen beobachtet, möchte Petra Kogelheide manchmal ihre Visitenkarte zücken und sagen: „Kommen Sie doch mal vorbei, wir haben Lösungen!“
Die Psychologin leitet das Jugendpsychologische Institut (JPI) des Jugendamtes und sie merkt auf, wenn sich ein Kind vor der Supermarktkasse tobend auf den Boden wirft und kein Zureden hilft oder wenn sich Eltern anschreien und das Kind derweil den Hund tritt. Sie registriert auch stille Signale, etwa wenn eine Vierjährige noch wie ein Säugling gekleidet wird. Aber sie urteilt nicht: „Ich finde es ganz normal, hilflos zu sein.“
Viele Menschen können nicht so gut mit der eigenen Hilflosigkeit umgehen, darum scheuen sie womöglich den Weg ins JPI, das die Psychologie im Namen trägt, aber doch eine „ganz normale Erziehungsberatung“ bietet, wie Petra Kogelheide versichert. An den vier Standorten, unter den 30 Mitarbeitern gebe es allerdings tatsächlich mehr Psychologen als andernorts und damit mehr diagnostische Möglichkeiten. So können Kinder rascher in Therapien vermittelt werden – wenn die denn nötig sind.
Jede Frage ist berechtigt
„Niemand, der zu uns kommt, muss glauben, er habe eine Macke.“ Jede Sorge, jede Frage sei berechtigt: Warum das Kind partout nicht schlafen will etwa oder wieso der Dreijährige nie sein Zimmer aufräumt. Im ersten Fall kann es viele Antworten geben, im zweiten ist das Kind einfach zu jung, um ohne Hilfe Ordnung zu schaffen.
Andere Probleme sind tiefgreifender, etwa wenn ein Elternteil verschwunden ist, sterbenskrank oder alkoholabhängig: Wie sage ich das meinem Kind? Wie gehe ich mit seiner Angst um, wenn ich selbst verzweifelt bin? Weil solche Fragen drängend sind, bekommen alle Eltern innerhalb von 14 Tagen einen Termin für ein erstes Gespräch, verspricht Kogelheide.
Im Durchschnitt dauert die Beratung dann ein halbes Jahr, doch das ist ein grober Richtwert: Eine Therapie nimmt leicht doppelt so lange in Anspruch, andere Dinge lassen sich mit drei Terminen klären. Kogelheide und ihre Kollegen verweisen manche Kinder an andere Stellen weiter, etwa ans Familienzentrum im Stadtteil oder an die LVR-Klinik für Psychiatrie.
Gespräche im geschützten Raum
Unberechtigt sei die Sorge, dass das JPI in anderen Abteilungen des Jugendamts Alarm schlägt: „Wir gehören zwar zum Jugendamt, sind aber unabhängig. Hier spricht man im geschützten Raum, was uns anvertraut wird, unterliegt der Schweigepflicht.“ 2000 Einzelpersonen und Familien nehmen das Angebot des JPI im Jahr wahr. Den größten Beratungsbedarf haben Eltern von Sechs- bis Zwölfjährigen. Die Einschulung etwa bringt viel Unsicherheit mit sich – und überzogene Erwartungen. „Mit sechs kann sich ein Kind nicht stundenlang auf die Hausaufgaben konzentrieren.“
Solche Erkenntnisse seien nicht neu, sagt Kogelheides Kollege Georg Denzel: „Trotzdem ermahnen viele Eltern die Kinder zu absoluter Ruhe oder halten sie zu Konzentrationsübungen an.“ Der Pädagoge rät davon ab und empfiehlt lieber, Hausaufgaben mit bewegten Pausen aufzulockern: „Lassen Sie das Kind einmal die Treppe rauf und runterlaufen, setzen Sie es auf einen Gymnastikball, ermöglichen Sie Bewegung: Denn die erleichtert das Lernen.“ Und: Kein Kind nehme Schaden, wenn es zumindest einen Teil des Schulwegs zu Fuß bewältige „oder wenn’s bis zum zwölften Lebensjahr keinen Computer kennengelernt hat“. (Womit er keinesfalls ein PC-Verbot fordere.)
Im JPI kennen sie alle Facetten elektronischer Medien: Sie haben gemerkt, wie gern Jugendliche die Online-Beratung nutzen, und dass sie sich hier eher öffnen als in der Beratungsstelle. Sie hören andererseits von hässlichen Fällen von Cyber-Mobbing, wo Kinder ihre Mitschüler mit Whats-App-Nachrichten systematisch ausgrenzen. Der Begriff werde oft voreilig benutzt, sagt Kogelheide: „Aber echtes Mobbing ist Gewalt – und kein Kind kommt da alleine raus!“ Sollten Eltern nicht weiter wissen, gilt auch hier: Das JPI greift ein.
Hilfe vom Babyalter bis über die Pubertät hinaus
Wer Fragen zu Erziehung oder Entwicklung seines Kindes – von Baby- alter bis über die Pubertät hinaus – hat oder bemerkt, dass sich das Kind auffällig verhält, etwa sehr scheu ist, oft einnässt, scheinbar grundlos schlägt oder nicht mehr hört, ist beim Jugendpsychologischen Institut (JPI) an der richtigen Adresse. Gleiches gilt, wenn Suchterkrankungen, Krankheit oder Trennungen das Familienleben belasten.
Die 30 Mitarbeiter des JPI sind Psychologen, Psychotherapeuten, Heil- und Sozialpädagogen, die eng zusammenarbeiten. So können Beratung und eventuelle Behandlung aufeinander abgestimmt, lange Wartezeiten und doppelte Diagnostik vermieden werden.
Auch Kinder/Jugendliche können die kostenlose Beratung unabhängig von den Eltern nutzen oder sich online beraten lassen.
Das JPI hat vier Standorte: Altendorf: 88 51 331; Altenessen: 88 51 346, Steele: 88 51 352 sowie die Burau-Stiftung, die pädagogisch-therapeutische Gruppen anbietet: 44 20 73.
Bundesweit stellen Jugendämter in der kommenden Woche ihre Arbeit vor, auch Essen nimmt an der Kampagne teil: „Groß werden mit dem Jugendamt“ lautet das Motto, das natürlich auch auf die Arbeit der Erziehungsberatungsstellen passt. Am nächsten Dienstag, 6. Oktober, sind vier Experten vom Jugendpsychologischen Institut (JPI) bei uns in unserer Redaktion zu Gast. Eine Stunde lang – von 17 bis 18 Uhr – beantworten sie unseren Lesern am Telefon dann alle Fragen rund um das Thema Familie und Erziehung.
Die Diplom-Sozialarbeiterin und systemische Familientherapeutin Ursula Marquardt (am Dienstag zwischen 17 und 18 Uhr zu erreichten unter 0800 - 200 3 200) berät Familien mit Kleinkindern bis zum Grundschulalter, ist außerdem Expertin in Fragen der Eltern-Kind-Beziehung und weiß Rat für Familien nach Trennung und Scheidung. Der Diplom-Psychologe und systemische Familientherapeut Detlev Bärhold ( 0800 802 3 802) ist aktiv in der Eltern- und Familienberatung, kennt sich aus in psychologischer Diagnostik, Leistungsdiagnostik und leistet allgemeine Erziehungsberatung für Eltern mit Kindern von null bis 21 Jahren. Die systemische Familientherapeutin Ulrike Rittmann ( 0800 200 7 200) steht für kinderorientierte Familientherapie und ist Expertin im Umgang mit Kindern aus Suchtfamilien. Die Diplom-Sozialarbeiterin Susanne Völker ( 0800 200 6 200) therapiert Kinder zwischen zwei und 12 Jahren und ist Expertin für Konzentrationstrainings.
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