Essen. Kinder von psychisch kranken oder suchtkranken Eltern sind oft einsam. Das Jugendpsychologische Institut Essen will sie für den heiklen Familienalltag stärken.

Wenn Mama mal teilnahmslos ist und im nächsten Moment aufgekratzt und voller Pläne, wenn sie den Weg vor die Tür nicht bewältigt, aber von einer Weltreise fabuliert, stellt das ein Kind vor unlösbare Rätsel. Jungen und Mädchen, deren Eltern psychisch erkrankt oder suchtkrank sind, müssen Ungewissheit aushalten, mitunter auch Angst und Aggression. Das Jugendpsychologische Institut (JPI) der Stadt und die Burau-Stiftung wollen diese Kinder stärken, ihnen Rüstzeug für den schwierigen Familienalltag mitgeben. Darum bieten sie verschiedene Kurse für betroffene Kinder an.

„60 bis 80 Prozent der Patienten in der Psychiatrie haben Kinder, aber die sind meist nicht im Blickfeld der behandelnden Ärzte“, sagt Psychologin Petra Kogelheide vom JPI. Dabei bedeute die Krankheit Stress für die Jungen und Mädchen: Sie wissen nie, was sie erwartet, wenn sie nach Hause kommen. Verlässlichkeit ist eine wichtige Währung in Familien; wo sie fehlt, suchen Kinder oft die Schuld bei sich, werden still, traurig oder aggressiv.

Gruppen für Kinder von psychisch-/Suchtkranken

Osterferienangebot für Kinder (12-14 Jahre) von Eltern mit psychischen oder Suchterkrankungen: 7.-10. April, je 10-15Uhr. Info/Anmeldung: Jugendpsychologisches Institut, 88 51 333.

Wöchentliche Gruppe für Kinder von 8 bis 11 Jahren, ab Sommer in der Burau-Stiftung, Heisinger Str. 106, 44 20 73.

Weil Alkoholismus oder Depression anders als eine Grippe meist geheim gehalten werden und sich die Kinder für das komische Verhalten ihrer Eltern schämen, vertrauen sich viele niemandem an. Sie schämen sich in der Schule, ecken an, finden oft keine Freunde.

Und wenn andere verreisen, bleiben sie zu Hause, erleben den heiklen Familienalltag oft noch belastender. Darum hat das JPI im vergangenen Jahr erstmals einen viertägigen Kurs in den Herbstferien angeboten: Vier Kinder von 11 bis 14 Jahren nahmen teil und erlebten, dass sie nicht allein sind: „Das ermutigt sie, offener über ihre Eltern, ihre Sorgen oder ihre Traurigkeit zu sprechen“, sagen die Sozialpädagoginnen Ulrike Rittmann und Susanne Völker, die den Kurs leiteten.

Kinder machen ganz neue Erfahrungen

Die Jungen und Mädchen sollten lernen, ihre Gefühle wahrzunehmen, ein positives Selbstbild zu entwickeln und ihre Resilienz – eine Art psychische Widerstandskraft – zu stärken. Sie übten Stressbewältigung und erfuhren, wie sich psychische Leiden auswirken: Etwa dass Stimmungsschwankungen zu manchem Krankheitsbild gehören und nichts mit ihrem Wohlverhalten zu tun haben. Daneben blieb Zeit für Spiele und für alltägliche Dinge, die für die Kinder nicht alltäglich sind: gemeinsam essen zum Beispiel.

„Es gibt Mütter, die so unter Panikattacken leiden, dass sie nicht mal einkaufen gehen können“, sagt auch Psychologin Ursula Krege von der Burau-Stiftung, die mit dem JPI einen ähnlichen Kurs anbietet: Er läuft ein halbes Jahr lang einmal wöchentlich und richtet sich an Dritt- und Viertklässler. Denn schon diese Grundschüler trügen oft große Verantwortung, kümmerten sich um Mutter und kleinere Geschwister.

Das Tabu in der Familie belastet die Kinder

Das Angebot wendet sich an Kinder – und bezieht die Eltern ein: Wenn das Jugendpsychologische Institut (JPI) Kurse für Mädchen und Jungen anbietet, deren Eltern psychisch erkrankt oder suchtkrank sind, ist die ganze Familie im Blickfeld. „Natürlich setzen wir uns mit den Eltern zusammen; auch weil sie den Kindern erlauben sollen, über die Krankheit zu sprechen“, sagt Sozialpädagogin Ulrike Rittmann vom JPI. Fehle dem betroffenen Elternteil die Krankheitseinsicht, könne das gesunde Elternteil die Erlaubnis erteilen.

In dem Ferienkurs, den sie und ihre Kollegin Susanne Völker bereits einmal angeboten haben, können die Jungen und Mädchen dann offen über das wechselhafte oder seltsame Verhalten ihrer Eltern reden. Zudem werden sie altersgerecht über das Krankheitsbild informiert. Häufig haben die Eltern bis dahin ihr Leiden, ihre Sucht verschwiegen – ein Tabu, das Kinder mehr belastet als die Wahrheit. Es hilft also schon, wenn die Eltern anerkennen, dass sie ein Problem haben, sagen Rittmann und Völker. Sie ermutigen betroffene Mütter und Väter: „Im Kurs schauen wir mit den Kindern auch, was sie an ihren Eltern gern haben und was in der Familie gut läuft.“

In dem Kurs dürften sie wieder Kind sein und machten dabei ganz neue Erfahrungen, hat Heilpädagogin Claudia Gawehn beobachtet: „Die ersten Freundschaften sind entstanden.“ Und Freunde kannten viele der Kinder bislang nicht.