Essen. Sollte sich die Einschätzung des Vizekanzlers bestätigen, müsste die Stadt bis zum Jahresende nicht 2600, sondern 3800 zusätzliche Plätze für Flüchtlinge schaffen.
Noch ist es nicht mehr als eine Prognose des Vizekanzlers ohne jede amtliche Bestätigung der zuständigen Behörden. Doch sollte sich bewahrheiten, dass bis Ende des Jahres tatsächlich rund eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen, wie es Sigmar Gabriel jetzt in einem Brief an die SPD-Parteimitglieder formulierte, muss die Stadt zur Unterbringung der Menschen mal wieder neu rechnen. 200.000 Menschen bundesweit mehr heißt für Essen: Nicht 2600, sondern 3800 Neuankömmlinge benötigen allein in den nächsten Monaten ein Dach über dem Kopf, ein Bett für die Nacht, Betreuung und Verpflegung.
Drei weitere Flüchtlingsdörfer
Was für Ordnungsdezernent Christian Kromberg mangels greifbarer Alternativen in der Konsequenz heißt: „Wir werden wohl drei weitere Flüchtlingsdörfer bauen müssen.“ An welchen Standorten sie entstehen, sei noch nicht entschieden. Stadtweit werden zurzeit Grundstücke auf ihre Eignung geprüft, auch im Essener Süden, wie Kromberg betonte. Der Ordnungsdezernent hat bereits Flächen im Blick, will sie aber erst benennen, wenn eine Entscheidung im städtischen Krisenstab gefallen ist.
Dass die Stadt ihr ursprüngliches Kalkül nicht durchhalten kann, aus sozialen Gründen und Sicherheitsüberlegungen möglichst kleine Flüchtlingsdörfer an mehreren Standorten einigen wenigen Großlagern vorzuziehen, zeichnet sich zunehmend ab – spätestens nach der Entscheidung für die Karnaper Zeltstadt für 700 Menschen auf dem Gelände des früheren Mathias-Stinnes-Stadions.
Unterbringung der Flüchtlinge
Flüchtlinge in DeutschlandDenn die Unterbringung der Flüchtlinge wird mehr und mehr zur Mangelverwaltung: Mittlerweile fehlt’s an Material und Mannschaft, sagt Kromberg, der deutlich mehr Unterstützung vom Land erwartet, um die Unterkünfte angemessen ausstatten zu können. Nicht nur die angeblich winterfesten Zelte, auch Sanitärcontainer, geeignete Betten und Decken sind nur mit Geschick und Weitsicht zuverlässig zu bekommen. Selbst der Betreiber European Homecare (EHC) hat inzwischen offenbar Probleme, ausreichend Personal zu rekrutieren, um die Betreuung vieler kleinerer Standorte gewährleisten zu können. EHC, so ist zu hören, wäre somit eine Zeltstadt mit 1200 Menschen lieber als drei mit jeweils 400.
Wie sehr inzwischen vieles in der Flüchtlingsfrage nur noch auf Zuruf funktioniert, bekam die Stadt gestern zu spüren, als die Bundespolizei Alarm schlug: 300 Flüchtlinge seien mit Zug auf dem Weg von Köln in Richtung Norden. Da nicht auszuschließen war, dass die Menschen in Essen aussteigen, bat man den Lokführer langsam zu fahren, um sich auf einen Empfang mit großem Bahnhof vorbereiten zu können. Vergebliche Liebesmüh: Am Ende stiegen zwölf Flüchtlinge aus dem Zug, die an die Erstaufnahmeeinrichtung in Dortmund weitergeleitet wurden. Der Rest ist wohl in Düsseldorf geblieben.