Essen-Karnap. . Keine Zeltunterkunft in Essen ist so groß wie die im Mathias-Stinnes-Stadion. Eine Umfrage zeigt: Die Karnaper wollen helfen, aber viele sind besorgt.
Hell getünchte Fassaden und schicke Vorgärten, üppig blühende Hortensien und akkurat geschorener Rasen. In der Beisekampsfurth ist Karnap wirklich Dorf. Direkt gegenüber liegt das stillgelegte Mathias-Stinnes-Stadion, in dem schon seit fünf Jahren kein Ball mehr angestoßen wurde. Die himmlische Ruhe wird aber schon bald ein Ende haben: Denn die Stadt stampft hier das größte Essener Zeltdorf für Flüchtlinge aus dem Boden. Und was sagen die Beisekampsfurther dazu? „Finde ich gut“, sagt Rita Stege (62), die gerade eine Konifere in runde Formen zurechtstutzt.
"Denen ist nichts geblieben außer der Kleidung am Körper"
„Grausam“ findet sie die Bilder, die der Fernseher tagtäglich ins friedliche Karnaper Eigenheim wirft. „Wenn man die Menschen sieht, denen nichts mehr geblieben ist als die Kleidung am Körper, dann weiß man, wie gut man es hier hat.“
Obwohl sie noch keinen einzigen Zeltpfosten in die Stadionerde gerammt haben, ist Rita Stege längst vorbereitet auf die Ankunft der Erschöpften und Geschundenen. „Ich habe schon Kleidung gesammelt.“
Bei ihrem Nachbarn Frank Seeger, der bei RWE einst die Chefs chauffierte, hält sich die Begeisterung, nun ja, in Grenzen. „Ja, die Leute tun mir auch Leid“, sagt er, um sogleich ein klares Aber hinterher zu schicken. „Ein Zeltdorf mit 700 Menschen – das ist für Karnap eindeutig eine Nummer zu groß.“
Das geplante Riesen-Zeltdorf – eingeklemmt zwischen Müllheizkraftwerk, viel befahrener B 224 und der so genannten „Scherbenkolonie“ – ist Dorfgespräch in Karnap. Auch SPD-Ratsherr Guido Reil ist hin- und hergerissen. Den Standort an sich hält der Kommunalpolitiker für ideal und zunächst habe er in der Bevölkerung sogar „nur positive Signale“ empfangen. Doch da war nur von höchstens 400 Bewohnern die Rede gewesen, jetzt sollen aber bis zu 700 kommen. Eine Zahl, die jeder Karnaper ins Verhältnis zur gesamten Einwohnerzahl setzt: 700 zu 7900. „Das sind fast zehn Prozent und dafür reicht die Fläche nicht aus“, mahnt Reil, „außerdem gibt’s im Stadtteil keine ausreichenden Freizeitmöglichkeiten.“
Menschen in Not zu helfen, zumal jenen, die um ihr Leben bangen müssen, empfindet Michael Schwamborn als Selbstverständlichkeit. So wie SPD-Kollege Reil verweist der Ratsherr des Bürgerbündnisses EBB auf die vielen Freiwilligen in Vereinen und Verbänden, Kirchen und Parteien. Aber auch er stört sich an der Zahl 700.
Frank Seeger wohnt seit bald 20 Jahren in der Beisekampsfurth und fürchtet jetzt um den Wert seines Reihenhauses. Ein Zeltprovisorium, das ein dreiviertel Jahr dauere, könne er akzeptieren – auch Flüchtlinge aus Syrien, nicht jedoch die aus sicheren Balkanländern. „Dann wird’s hier haarig“, sagt er und fragt: „Wer garantiert uns Sicherheit?“
Auf dem Rewe-Parkplatz am Karnaper Markt, knapp einen Kilometer vom künftigen Zeltdorf entfernt, wird ebenfalls heftig diskutiert. Denise Zimmerling aus dem Boshamerweg hat schon angefangen, Kleiderspenden zu packen. „Wenn ich die Flüchtlingskinder sehe, muss ich bestimmt heulen“, sagt sie. Aber sie gesteht auch ihre Angst ein – „dass sie vor der Tür stehen und betteln.“ Magdalena Mannek befürchtet, dass die Karnaper Schulen die Flüchtlingswelle nicht mehr bewältigen können. „Wie sollen die das schaffen?“, fragt die gelernte Krankenschwester und denkt dabei an ihren Sohn, der die Maria-Kunigunda-Schule besucht: Würde er Nachteile haben? Brigitte und Winfried Miller leben seit 34 Jahren in der II. Schockenhecke und sind stolze Karnaper. Sie erinnern an die bleiernen Jahre, als sich Karnap stiefmütterlich behandelt fühlte und gemieden wurde. Jetzt haben sie Angst, wieder zurückgeworfen zu werden. „700 Flüchtlinge – das ist zu viel.“
Özlem Stöber, Mutter eines dreijährigen Jungen, kann die Sorgen der Karnaper verstehen. Aber für sie steht fest: „Solange da unten Krieg ist, kann man niemanden zurückschicken. Die können auch ein bisschen Frieden gebrauchen.“
Mustafa Caglar (54), Diplom-Ingenieur im Bergbau, kam mit 17 aus der Türkei nach Essen und wurde wie sein Vater: Bergmann. „Diese Gesellschaft hat mir viel gegeben“, sagt er. Ihm imponiere die neue Willkommenskultur, aber er schränkt zugleich ein: „Es gibt rassistische Tendenzen, besonders im Osten, die mich stören.“ Am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft habe er viele deutschstämmige Freunde gewonnen. „Sie sind es, die mir Mut geben.“ Das Schicksal der Flüchtlinge vor Augen, vermag Mustafa Caglar die Hände nicht in den Schoß zu legen. „Ich packe in einem Flüchtlingsheim mit an.“