Essen. . Im Streit um die Frage, ob Essen mehr Polizisten nötig hätte, verteidigt Frank Richter seine defensive Haltung: Die Polizei habe die Kriminalitätslage im Griff.

Als die Polizei Duisburg letzte Woche mit mehr Einsatzkräften ausgestattet wurde, Essen aber leer ausging, gab es massive Kritik am neuen Polizeipräsidenten Frank Richter. Der wehrt sich jetzt erstmals gegen die Vorwürfe und die Angstmache und betont im Interview mit der WAZ: „Essen ist nicht die Insel der Glückseligen, aber auch nicht Chicago. Die Bürger spüren in unserer Stadt ein Grundsicherheitsgefühl. Wir haben hier unsere Probleme, aber die haben wir im Griff.“

Richter: „Hätte ich schreiben sollen, hier liegt alles am Boden?"

Der Polizeipräsident ist sauer. Er kocht innerlich. Und diese Aufgebrachtheit spürt man, wenn man dem bulligen Riesen gegenübersitzt. Frank Richter soll versagt haben. Finden Kritiker aus der Politik. Vergangene Woche wurde im Unterausschuss Personal des Landtags das Anfang August von Innenminister Ralf Jäger angekündigte Mehr-Personal an die Präsidien verteilt. Die Duisburger Polizei legte ein „Geheimpapier“ vor, das jetzt die Runde macht. Seitenweise war dort die Rede von Brennpunkten und Übergriffen, von Angsträumen und No-Go-Areas, von Tumult und Verelendung. Für das „Die Stadt versinkt im Chaos“-Szenario gab es 38 Polizisten aus der Hundertschaft. Essen erhielt kein Personal. „Da wurde nicht viel präsentiert“, sagte ein Ausschuss-Politiker der WAZ.

Auch interessant

Das bestreitet Frank Richter auch nicht, und das Vorgehen der Kollegen aus Duisburg will er nicht bewerten. Aber der Polizeipräsident, qua Amt für die Sicherheit von 740. 000 Menschen in Essen und Mülheim verantwortlich, wehrt sich vehement gegen den mitschwingenden Vorwurf, nicht vorbereitet gewesen zu sein: „Wir haben nicht gepennt.“ Richter, ein ausgewiesener Freund der klaren Kante, weiter: „Hätte ich alles theatralisch ausschmücken und schreiben sollen, hier liegt alles am Boden, hier ist Mord und Totschlag? Das tue ich den Menschen in Essen nicht an. Denn es ist de facto nicht so. Ein falsches Bild von der Situation hier zu geben, wäre ein falsches Signal für die Bürger gewesen.“

Keine „No-Go-Areas", aber „Problemquartiere“

Essens oberster Gesetzeshüter, Chef von 2200 Polizisten, verschließt dabei keineswegs die Augen vor der Realität in seiner Stadt: „Da wollen wir auch nichts zukleistern.“ Er weist auf die vorhandenen Gefahren durch Familienclans, Rocker und Sinti und Roma hin. „Aber wir haben hier, und das betone ich immer wieder, keine No-Go-Areas. Wir sind nicht ohnmächtig und geben keinen Stadtteil auf. Es würde auch einer Kapitulation gleich kommen. Deshalb gab es auch keinen Anlass, im Kontext mit dieser Diskussion Personalbedarf geltend zu machen“, erklärt der 56-Jährige.

Bloß nicht Angst herbeireden

Wer für den Moment satt ist, sollte nicht wieder essen, weil ein voller Teller auf dem Tisch steht. Sondern die essen lassen, die Hunger haben und das Essen wirklich brauchen.

So könnte man das Vorgehen von Polizeipräsident Frank Richter beschreiben. Der hat erst im Juli Personal aus dem Ministerium bekommen. Für ein ausgefeiltes Konzept, mit dem gegen die wachsende Zahl von Einbrüchen vorgegangen werden soll. Richter setzt auf Prävention und Repression, er will nicht nur die Auswüchse, sondern auch die Wurzeln des Übels bekämpfen.

Soll er jetzt jammern und automatisch einen weiteren Schluck aus der Pulle nehmen, nur weil der Innenminister mehr Personal in Aussicht stellt? Soll er massive Angst-Zustände herbeireden und konstruieren, um Beamte abzugreifen? Solche Szenarien abseits der Realität verunsichern und verängstigen die Bürger. Und mit der inneren Sicherheit sollte man nicht spielen. Kritiker werden sagen, mehr Bedarf an Personal ist immer da. Wo soll das enden? In der DDR war das Verhältnis von Polizisten (in all ihren Facetten) zu Bürgern besonders hoch. Es herrschte totale Kontrolle. Gewalt und Verbrechen gab es trotzdem.

Frank Richter hat nicht den Preis des „Bundes des Steuerzahler“ verdient, weil er nicht reflexartig hier geschrien hat, als es etwas zu verteilen gab. Auch der Mann mit Gewerkschaftsvergangenheit sagt: „Ich wünsche mir mehr Personal.“ Dessen Vergabe sollte aber am Bedarf orientiert sein, um dann vor Ort zielgrichtet eingesetzt zu werden. Thorsten Schabelon

Zum Contra-Kommentar: Viele Essener haben kein „Grundsicherheitsgefühl“

Eine seltsame Strategie

Es klingt ja erst mal ganz angenehm, wie sich Essens neuer Polizeipräsident als bodenständiger Mann und nicht als fordernder Jammerlappen präsentiert. Probleme? Klar, gibt es, aber die Polizei habe alles im Griff. Kein Grund jedenfalls für Frank Richter, dem unter Druck stehenden NRW-Innenminister Jäger mit Personalwünschen auf die Nerven zu fallen. Und von den Bürgern weiß der oberste Essener Polizist sogar zu berichten, sie seien von einem „Grundsicherheitsgefühl“ beseelt.

Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Und richtig: Die Zahl der Einbrüche steigt, die Aufklärungsquote ist erschütternd gering. Jeder kennt inzwischen Betroffene, die nach einschlägigen Erfahrungen von einem „Grundsicherheitsgefühl“ ziemlich weit entfernt sind, jedenfalls wenn man die früher in diesem Land üblichen Maßstäbe anlegt. Und beklagte die Essener Polizei nicht vor einigen Tagen selbst, dass sie bei Einsätzen etwa gegen renitente Clans zunehmender Gewalt ausgesetzt ist? Doch, hat sie. Stand erst vergangenen Mittwoch in der WAZ. Undementiert natürlich. Von vermeintlichen Kleinigkeiten wie den langen Wartezeiten, wenn man die Freunde und Helfer mal braucht, wollen wir hier gar nicht reden.

Man muss kein Panikmacher sein, um in dieser Lage mehr Polizisten für keine schlechte Idee zu halten, selbst wenn Essen von Duisburger Verhältnissen noch entfernt ist. Mir fiele auf Landesebene jedenfalls einiges an bürokratischem Schnickschnack und an Weltverbesserungsprojekten ein, die aus Sicht des normalen Bürgers entbehrlicher wären. Die Strategie des Polizeipräsidenten mutet daher schleierhaft an. Frank Stenglein

zum Pro-Kommentar Bloß nicht Angst herbeireden, um mehr Polizisten zu bekommen

  

Allerdings, das weiß Frank Richter auch, gibt es in Essen „Problemquartiere“. „Im Norden, dort vor allem in Altenessen. Und teilweise an der Altendorfer Straße in Altendorf. Aber das haben wir mit unseren Kräften und Hundertschaften im Griff.“

Frank Richter weiß auch um die Sorgen der Bürger. „Die Gewalt im Alltag und die Wohnungseinbrüche.“ Für ein neues Fünf-Punkte-Konzept, mit dem die wachsende Zahl der Einbrüche bekämpft werden soll, gab es gerade erst Zusatzpersonal aus dem Ministerium: „Im Juli wurden uns auf Basis dieses Konzepts 5000 Stunden genehmigt. Wir sind im ständigen Austausch mit Düsseldorf und legen entsprechende Einsatzkonzepte vor. So ganz untätig, wie es einige glauben machen wollen, sind wir also nicht“, sagt Frank Richter, dessen Behörde seit 2012 jährlich Personal-Zuweisungen aus dem Innenministerium erhalten hat. Dort nimmt man, so ist zumindest zu hören, das defensiv-verhaltene Vorgehen aus Essen positiv zur Kenntnis.