Essen. Spektakulär und nichts für schwache Trommelfelle: Richard Siegal zeigt im Salzlager der Kokerei Zollverein das Tanzstück ,Model’ mit hämmernden Beats.

Ohrstöpsel werden gleich am Eingang zum Salzlager der Kokerei auf dem Welterbe Zeche Zollverein verteilt. Die freundlich strahlenden Ruhrtriennale-Helferinnen meinen es gut. Sie wissen, dass gleich die Elektronik-Sound-Truppe des Münchener Künstler-Kollektivs „The Bakery“ einen Höllenlärm entfachen wird; zumindest für nicht Techno oder Hardrock geübte Ohren. Tatsächlich begibt sich Richard Siegal zum Auftakt der Ruhrtriennale bei seiner Choreographie „Model“ auf die Suche nach einem modernen Inferno.

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    Ausgangspunkt ist die „Göttliche Komödie“, in der Dante vor fast 700 Jahren Himmel und Hölle genauso detailliert beschrieb wie die Stufen, die der Mensch dorthin zu durchlaufen hat. Aber der Choreograph Siegal, ausgezeichnet u.a. mit dem Theaterpreis „Faust“, ist halt so ein modern-sehniger Typ, der Botschaften gerne in Schwarz-Weiß-Minimalismus taucht und von fantastischen Ballett-Akrobaten der Bayrischen Staatsoper und seiner „Bakery“-Kompanie rüberbringen lässt. Dazu schlagen und wabern, hämmern und dröhnen Rhythmen, die in gut 100 Minuten manchmal die Schmerzgrenze überschreiten. Am Schluss jagen die Beats gar wie Maschinengewehr-Salven durch das Salzlager.

    Bedrohliche Geräuschkulisse

    Vor, hinter und neben flackernden Pixel-Monitoren in schwarzen Rahmen, die von Zero-Künstlern stammen könnten, erscheinen die Gestalten plötzlich in aufblitzendem Stroboskop-Techno-Licht. Zuerst in akademischer Ballettpose. Sexy und selbstverliebt. Standbilder wie gemeißelt, die sofort wieder verschwinden. Erst bei länger scheinendem Licht lösen sie sich im ersten Teil („Metric Dozen“) auf, die Tänzer betören in Soli und gemischten Gruppenbildern. Gleit- und Flugsprünge, Pirouetten und schlagende Beindehnungen, die häufig die 180 Grad überschreiten. Die hochgetrimmten Virtuosen einer der ersten Tanzkompanien der Republik schreiten wie „Models“ – in hautengen schwarzen Glitzertrikots über den Laufsteg der Hölle und entfachen einen Sog.

    Noch mehr Ruhrtriennale-Tanz

    „Model“ ist noch am 21./22. August im Salzlager der Kokerei Zollverein zu sehen.

    Gedichte und schelmische Tanzszenen verbindet der belgische Regisseur und Autor Jan Decorte in „Much Dance“. Am 28., 29. und 30. August, 20 Uhr, ist die Koproduktion der Münchner Kammerspiele mit Bloet VZW Brüssel, Kaaitheater Brüssel und dem Pumpenhaus Münster auf Pact Zollverein zu sehen.

    Star-Choreografin Meg Stuart ist vom 17. bis 20. September, 20 Uhr, mit „Until Our Hearts Stop“ zu Gast bei Pact Zollverein. Neun Musiker und Performer finden zu den Klängen von Bass, Klavier und Schlagzeug zusammen.

    Im zweiten Teil („Model“) verbiegen, verdrehen, verkanten und verknäueln sie sich. Jetzt in geschlitzten weißen Shirts, die sie wie Skelette aussehen lassen. Alles wird noch lauter und schneller. In manchen Szenen kämpfen sie gegeneinander, leiden oder bleiben allein zurück. Das alles ist brillant getanzt, wirkt jedoch durch zunehmend bedrohliche Geräuschkulisse furchterregend und für den Betrachter anstrengend. Am Ende, Gottlob, ein Hoffnungsschimmer: Auf einer LED-Wand erscheint das Bild eines schlummernden Babys.

    Fazit: ein außergewöhnlich forderndes Sound-Spektakel, aber auch eine sinnlich faszinierende Tanz-Show. Allerdings nichts für schwache Nerven!