Essen. Im Polizeipräsidium öffnen sich für die Gäste Glas- und Stahltüren: Sie führen in die Leitstelle und das Gewahrsam mit kargen Ausnüchterungszellen.

Von Zeiten, als Pferdedroschken über den Haumannplatz vor dem Präsidium fuhren und auf dem Vorplatz jeden Sonntag Polizeikonzerte erklangen, erzählt Polizeihauptkommissar Ulrich Schnippenkötter den Lesern bei der WAZ-Führung durch das Präsidium. Die Fassade wurde 1914 bis 1918 erbaut, erwähnt er Historisches zu dem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude, bevor er die Gäste ins Innere führt.

Vier bunte Säulen gehören im Eingangsbereich, in dem Präsident Frank Richter die Leser begrüßt, zur künstlerischen Gestaltung. Als Symbol für die Polizei reicht die grüne Säule bis ins oberste Geschoss, während das große Fenster im Flur den Straßenplan der Innenstadt zeigt: Als Zeichen dafür, dass sich Polizeiarbeit vor allem auf der Straße abspielt, erklärt Schnippenkötter die Idee, bevor er die Tür zu den langen Fluren öffnet und Bilder vom Wiederaufbau des Präsidiums nach dem Krieg oder der Leitstelle zeigt, als die Beamten 1966 vor großen schwarzen Telefonen mit Block und Stift saßen.

Im Polizeigewahrsam nur unbewaffnete Beamte im Einsatz

„Polizeinotruf“, meldet sich Polizeikommissar Sebastian Lenz heute in der Leitstelle, in der er vor zwei Monitoren sitzt. Wählt ein Essener 110, landet er bei ihm oder einem seiner neun Kollegen. Ob Ruhestörung, Verkehrsunfall oder Schlägerei: „Hier entscheiden die Beamten, was im Notfall zu tun ist“, erklärt Andreas Mahlberger, Chef der Leitstelle, ihre Verantwortung. 1998 schickten sie ihre Kollegen an die Rü, wo Leserin Anne Honisch überfallen worden war: „Ich wollte eine Geldkassette zur Sparkasse bringen, als mir der Täter eine Waffe vorhielt.“ Später sagte sie bei der Polizei aus, die den Räuber zum Glück fasste, erzählt die 68-Jährige. Im Präsidium blickt sie nun hinter die Kulissen. Im Führungsraum etwa, in dem der Stab bei besonderen Lagen wie Banküberfall mit Geiselnahme arbeitet.

Über dem großen Tisch hängt der Fernseher, auf dem Livebilder aus dem Polizeihubschrauber (der „Hummel“) übertragen werden können. An der Wand hängen große Papierblätter, auf denen im Ernstfall Profile der Opfer und Täter wie psychischer Zustand oder Bewaffnung stehen. Aber auch beim anstehenden Fußballspiel der Düsseldorfer Fortuna gegen Rot-Weiss Essen werden die Verantwortlichen hier zusammenkommen. Sollten Betrunkene randalieren, landen sie möglicherweise nebenan bei Rudolf Steynes. Er leitet das zentrale Polizeigewahrsam, in dem sich im Erdgeschoss sechs Ausnüchterungszellen befinden: karge, weiß geflieste Räume, in denen die Toilette im Boden eingelassen ist, damit sich kein Insasse verletzt. Zur Eigensicherung arbeiten Beamten hier unbewaffnet.

Eine schöne Kindheit im Polizeipräsidium

Jeden Monat landen bis zu 250 Personen im Gewahrsam. Darunter diejenigen, die nach einer Straftat festgenommen wurden und bei denen die Kriminalpolizei prüft, ob Haftgründe bestehen, erklärt Steynes, während die Leser eine Zelle betreten. Zu ihrem Erstaunen erfahren sie dann noch von Ulrich Schnippenkötter, dass sie selbst zwei ehemalige Insassen kennen: Rösner und Degowski, die Gladbecker Geiselnehmer.

Als Kind hat Helmut Schael mit seinem Vater hoch oben auf dem Polizeipräsidium Fahnen gehisst. Dort im Dachgeschoss lag die Wohnung, in der die Familie von 1950 bis 67 lebte. Der Vater arbeitete erst als Hausmeister, später beim Kommissariat, das sich mit Diebstählen befasste. Mit ihm wohnten seine Frau und vier ihrer Kinder an der Büscherstraße. Zwei sind jetzt wiedergekommen: Angelika (59) und Helmut Schael (71) nahmen an der WAZ-Führung im Präsidium teil, das einst ihr zu Hause gewesen ist.

Hof als Spielplatz

Sichtlich gerührt blicken die Geschwister zu den Fenstern im Innenhof, hinter denen einst ihr Kinderzimmer lag. Für Angelika Schael war es die erste Wohnung. Ihr Bruder war beim Einzug sechs Jahre alt, später feierte er seine Verlobung hier, die nun mehr als 45 Jahre zurückliegt.

Damals war der Hof ihr Kinderspielplatz. Sie steckten die Nase gern in die Schreinerei, schauten dem Fahrer des Präsidenten Hermann Knoche zu, wenn er das Dienstfahrzeug wienerte. Viele Bereiche waren aber auch verbotene Zone, was sie damals nicht davon abhielt, heimlich Abkürzungen durchs Präsidium zu nutzen, um Stufen zu vermeiden. Nur erwischen lassen durften sie sich nicht, sonst hatten sie es gleich mit der Polizei zu tun. Wie etwa der Älteste unter ihnen, den ein Polizist auf der Alfredstraße geschnappt hatte: „Heinrich, Dein Sohn ist freihändig Fahrrad gefahren“, wiederholt Helmut Schael die Worte an den Vater. Ihre Mutter indes wurde per Funk zur Hilfe gerufen, obwohl sie gar keine Polizistin gewesen sei: „Aber sie tastete Frauen ab, die ins Gewahrsam mussten, da es keine Beamtin gab“, weiß Angelika Schael noch genau, wie auch den Namen ihres liebsten Spielkameraden: Elka hieß die Schäferhündin des Verwalters. Die Geschwister erinnern sich auch an die Stube des Frisörs, die Tankstelle, den Kirschbaum im Hof – und an eine schöne Kindheit. Ihre Mutter habe sich damals nie Sorgen machen müssen. Umzingelt von Polizisten, „waren wir immer sicher“.