Essen. Im Essener Rathaus geht man davon aus, dass die Stadt 2030 knapp 600.000 Einwohner zählen werde. Doch eine aktuelle Studie behauptet: Essen schrumpft.

Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung sorgt im Rathaus für Irritationen: Denn sie besagt, Essen werde im Jahr 2030 noch 545 630 Einwohner haben. Die Stadt selbst ging in ihrer Vorausberechnung im Mai von 598 000 Essenern für 2030 aus – und sprach schon von neuen städtebaulichen Herausforderungen. „Nach 30 Jahren Schrumpfen machen wir jetzt die Abteilung Zukunftshoffnung auf“, freute sich Stadtdirektor Hans-Jürgen Best.

Muss Best seine Neugründung nun durch eine Abteilung „Abriss“ ersetzen? Barbara Erbslöh, die das städtische Amt für Statistik leitet, glaubt das nicht: „Es gibt keinen Anlass, unsere Prognoserechnung jetzt in Frage zu stellen.“ Zum einen habe man die steigende Lebenserwartung berücksichtigt, die für eine große Zahl hochbetagter Einwohner sorgen werde. Zum anderen habe die Stadt für ihre Vorausberechnung Zahlen von 2012 bis 2014 zugrundegelegt; damit wurde auch die jüngst große Zuwanderung schon erfasst. Die werde sich – wenn auch nicht in gleichbleibender Stärke – auch zukünftig positiv auf die Bevölkerungsentwicklung in Essen auswirken, meint Barbara Erbslöh.

Seit drei Jahren erlebe Essen ein Wachstum

Die Bertelsmann-Stiftung sagt, man beobachte, wie sich Geburtenzahlen und Wanderungsbewegungen langfristig entwickeln. Kurzfristiges Wachstum wie es der Flüchtlingsstrom jetzt verursache, gewichte man nicht so stark. „1994 hatte Essen zuletzt 600 000 Einwohner, dann verlor die Stadt 15 Jahre lang Einwohner, danach blieb die Zahl drei Jahre stabil“, sagt Demograph Reinhard Loos, der die Studie für Bertelsmann erstellt hat. Erst 2012 habe es eine Trendwende gegeben, seit drei Jahren erlebe Essen ein Wachstum. „Ob die Zuwanderung so stark bleibt, stellen wir in Frage.“

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Barbara Erbslöh räumt ein, „dass wir alle in eine Glaskugel schauen“. Bei Prognosen komme es darauf an, welchen Basiszeitraum man zugrunde lege und welche Annahmen man über zukünftige Geburten und Zuzüge formuliere. Sie halte ihre Annahmen für plausibler, sie sei ja auch näher dran als die Bertelsmann-Experten, die ganz Deutschland betrachteten. Bestätigt fühlt sich Erbslöh durch die Landesbehörde IT.NRW, die Essen einen Zuwachs von 3,6 Prozent bis 2040 prophezeit – während Bertelsmann einen Bevölkerungsschwund von 3,7 Prozent bis 2030 voraussagt.

Experten sind schon bei der jetzigen Einwohnerzahl uneins

Dass die Prognosen für 2030 gleich um stolze 50 000 Einwohner abweichen, hat noch einen kuriosen Grund: Die Experten sind schon bei der jetzigen Einwohnerzahl uneins. Laut Einwohnerdatei der Stadt gibt es 579 000 Essener (Juni 2015), Bertelsmann geht von 565 410 aus. Diese Zahl sei eine bloße Fortschreibung des Zensus 2011, so Erbslöh. Doch dessen Zählweise zweifelt die Stadt an: Wie 350 weitere Kommunen ficht sie das Ergebnis des Zensus gerichtlich an.

„Mit den Zensus-Zahlen sind wir selbst unzufrieden“, räumt Reinhard Loos ein. Lieber hätte er für seine Studie auf Essens Einwohnerdatei vertraut. „Doch für die bundesweite Vergleichbarkeit brauchten wir eine einheitliche Datenbasis.“ Und das ist der umstrittene Zensus. Loos betont jedoch: An der Aussage, dass Essen schrumpfen werde, ändere das letzlich nichts.