Essen. Vermieter von Schrottimmobilien machen mit der Not mancher Flüchtlinge ein einträgliches Geschäft. Sie gehen gezielt an die gewährte Miet-Obergrenze. Die Stadt sieht das Problem, hat aber oft keine Handhabe

Aus der Wand ragen blanke Elektrokabel, die Badewanne ist völlig versifft, es gibt keine Spüle in der Küche, dafür liegt knöchelhoch Taubenkacke auf der Loggia. Aber alles, was Aziz (Name geändert) dazu sagen mag, ist ein freundlich lächelndes: „No problem!“

Kein Problem.

Er kriegt das schon hin, bis in der nächsten Woche seine Familie nachkommt. Jemand, der den blutigen Bürgerkrieg in Syrien hinter sich gelassen hat, der sich auf die ebenso abenteuerliche wie lebensgefährliche Überfahrt von Libyen nach Lampedusa wagte und dessen Odyssee über Frankreich nach Deutschland führte, der wird sich nicht wegen einer heruntergekommenen Wohnung im Hörsterfeld aufkröppen. Weil er nämlich froh ist, dass er sie überhaupt hat. Und dass es da eine Stadt gibt, die sie ihm bezahlt, so lange, bis er selber einen Job vorweisen kann. Wird sich schon was finden, er kommt aus der Baubranche, er kann was.

Geschäft mit Not und Unerfahrenheit

Lieber Wohnung als Heim

Um der anhaltenden Flüchtlingswelle Herr zu werden, hat die Stadt ihre Anstrengungen, Asylbewerber in Wohnungen unterzubringen, verstärkt – mit Erfolg.

Konnten im vergangenen Jahr noch stadtweit 464 Flüchtlinge in Mietwohnungen untergebracht werden, waren es allein im ersten Halbjahr 2015 schon 345.

Ziel ist es, in diesem Jahr 800 Flüchtlingen eine Mietwohnung zu besorgen.

Dabei räumt die Sozialverwaltung ein, dass manche Personen zunächst „nicht mietfähig“ sind.

Um auf Nummer sicher zu gehen, mietet die Stadt etwa beim Allbau die Wohnung zunächst selber an und reicht sie dann an die Familien weiter.

Nur Deutsch kann Aziz eben noch nicht, weshalb er schlicht überlas, dass man ihm diese Schrottimmobilie für 466 Euro Miete zuzüglich 170 Nebenkosten als Unterkunft „in einem ordnungsgemäßen, sauberen und mängelfreien Zustand“ untergejubelt hat – und der Vermieter jetzt über die sensationelle Rendite feixt, die er hat erzielen können.

Das Geschäft mit Not und Unerfahrenheit floriert, auch und gerade im Hörsterfeld, wo schon Dutzende Wohnungen zu Spottpreisen den Besitzer gewechselt haben, oft im Zuge von Zwangsversteigerungen, wo angesichts der Instandhaltungs-Rückstände die Wertgrenzen fallen und eine 80-Quadratmeter-Wohnung auch schon mal für unter 20.000 Euro zu ersteigern ist. Sonst nicht vermarktbar hat die sich mit zahlenden Flüchtlingen binnen weniger Jahre bezahlt gemacht.

Eigentumsbildung auf dem Rücken anderer – ein Problem, wenn auch kein massenhaftes, wie die Stadt glaubt. Denn wo immer sie sich in die Wohnungssuche einschaltet, bekommen die Schützlinge ein „Rundum-sorglos-Paket“, wie Martin Gärtner vom Sozialdezernat es nennt – vom Betreuer für Behördengänge bis zur Prüfung, ob die angebotene Unterkunft denn auch den aufgerufenen Mietpreis wert ist.

Manche Flüchtlinge fallen durchs Raster

Doch es gibt Menschen, die durch das Raster fallen – syrische Kontingentflüchtlinge etwa, die genauso selbstbestimmt leben können wie Einheimische. Und die versuchen sich selbst zu helfen, oft mithilfe hier lebender Landsleute. „Wir dürfen denen nicht verbieten, dort einzuziehen“, sagt Stadtsprecherin Jeanette von Lanken – und räumt ein, man werde wohl überlegen müssen, „ob die stadtinterne Kommunikation noch verbessert werden kann“. Denn über den Leisten ziehen lassen mag man sich von eiskalt kalkulierenden Vermietern auch nicht: 636 Euro knöpfen die Aziz* und seiner dreiköpfigen Familie ab, 50 Cent unter der zulässigen Grenze.

Für den Mietpreis hätte man bei der städtischen Wohnungsgesellschaft Allbau wohl eine komplett renovierte Wohnung bekommen. „Auch wir beobachten, dass mit der Not der Menschen ein gutes Geschäft gemacht wird“, sagt Dirk Miklikowski, Vorstandschef des Allbau, der rund 160 seiner 18.000 Wohnungen an Flüchtlinge vermietet hat und damit – bis auf wenige Ausnahmen – sehr gute Erfahrungen sammelte: „Es gibt nichts Besseres, als Menschen in Quartiere zu bringen, wenn man Integration ernst meint.“

Den Privatinvestoren zuvorzukommen und am Markt gezielt Schrottimmobilien aufzukaufen, um sie renoviert weiterzuvermieten, hält Miklikowski für keine gute Idee: „Wir müssten da viel Geld in die Hand nehmen – und wollen zudem nicht die Exit-Strategie für jene sein, die ihre Wohnungen über Jahre heruntergewirtschaftet haben.“

Das freut die Privaten. Und Aziz wird es richten. Kein Problem.