Ruhrgebiet. Wegen des Kita-Streiks müssen Eltern in NRW improvisieren. Sie bringen ihre Kinder bei Großeltern und in Notgruppen unter – oder mit zur Arbeit.
Wie hypnotisiert kleben die Blicke der vier auf dem Bildschirm an der Wand. Fernsehen morgens um halb zehn, einen Zeichentrick-Film, das gibt es sonst wohl kaum. Und so ignorieren sie die Memory-Karten auf dem Tisch in Raum 119, dem kleinen Besprechungsraum der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr (WMR). So lassen Ben (5), Paul (2), Valerie (4) und Lennox (4) auch dessen Mutter Nadine Pohle am anderen Ende des Tisches in Ruhe am Computer arbeiten. Heute ist Kita-Streik, heute tickt das Leben anders.
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„Das Angebot, Lennox mit ins Büro zu nehmen, kam mir sehr gelegen, denn seine Großeltern sind diese Woche noch im Urlaub“, erklärt die 32-jährige Veranstaltungsmanagerin Nadine Pohle. Deren Chef Rasmus C. Beck, selbst dreifacher Vater, hatte in der vergangenen Woche die Idee. „Wir haben hier viele junge Mitarbeiter. Deshalb war klar: Da müssen wir rangehen und spontan ein Provisorium schaffen für Eltern, die nicht über ein Netzwerk verfügen“, sagt Beck, der WMR-Geschäftsführer.
Der Streik trifft auch streikende Eltern
Knapp zwei Kilometer entfernt von Becks Büro trudeln im Verdi-Gewerkschaftshaus in der Essener Innenstadt die streikenden Erzieherinnen und Sozialarbeiter ein. Draußen nimmt ein ungewöhnlich warmer Maitag seinen Anfang, drinnen quetschen sich geschätzte hundertfünfzig Frauen und Männer bei Kaffee und Brötchen in die Räume. Etwas unsicher, noch nicht wirklich in Kampfstimmung, tragen sie sich in Listen ein, warten sie darauf, was ihnen die Gewerkschaftssekretäre zu sagen haben.
Sie alle wissen, dass ihr Streik kein einfacher ist, dass sie Eltern und Kindern einiges zumuten. Tanja Bachstein, eine stellvertretende Kita-Leiterin, hat an diesem Morgen ihre fünfjährige Tochter Emilia zum Streik mitgenommen. Der Streik trifft eben auch die Streikenden. „Die meisten Eltern werden von Großeltern unterstützt, andere helfen sich gegenseitig, betreuen ihre Kinder im Wechsel“, sagt die Erzieherin. Auch Emilia wird in den nächsten Streiktagen bei Freunden untergebracht werden.
Mehr Lohn, bessere Anerkennung
Es geht ihnen um mehr Lohn, vor allem aber, um mehr Anerkennung und bessere Arbeitsbedingungen. Petra Scheiber etwa ist als Erzieherin in einer offenen Ganztagsschule beschäftigt. Eine von vier Erzieherinnen für 130 Kinder in vier Gruppen. „Auch die Eltern kritisieren die schlechte Personaldecke, wünschen sich mehr Unterstützung für die Hausaufgaben der Kinder“, sagt Scheiber und setzt nach: „Wir sind doch keine Hansel, wir sind Fachkräfte!“
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Merkwürdig leer ist es dort, wo statt normalem Betrieb Notgruppen eingerichtet wurden. Eine Gruppe statt sieben. Rettungsanker für Eltern, die sich nicht anders zu helfen wissen. Sie dürfe nicht sagen, wie viele Kinder an diesem Tag hier betreut werden, sagt die Erzieherin, die nicht organisiert ist und deshalb nicht mitstreikt. Aber sie verstehe, warum die Kollegen streikten, von dem Lohn könne man tatsächlich keine Familie ernähren. Manche der Neuen im Job hätten einen Zweitjob, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
Scheinbar will keiner diesen Streik, er wird dennoch länger dauern
Im Verdi-Haus in der Essener Innenstadt ist inzwischen ein Hauch von Stimmung aufgekommen. Gewerkschaftssekretärin Monika Peil ist inzwischen, um besser gesehen und gehört zu werden, auf einen Tisch geklettert. Morgen, sagt sie, „morgen werden wir zum Rathaus ziehen und mit dem Oberbürgermeister reden“! Auch er solle sich dafür einsetzen, dass dieser Streik nicht so lange dauern müsse, dass es möglichst bald zu einer Einigung komme.
Erzieher fordern mehr Anerkennung
Es ist Tag eins dieses Streiks. Die gegnerischen Seiten, die Kommunalen Spitzenverbände und die Gewerkschafter, haben sich längst rhetorisch munitioniert. Es wird, so scheint es, noch viele Streiktage geben. Und noch viel familiären Stress.