Essen. Das Foto der verzweifelten gekündigten Evag-Fahrerin bei der Mai-Kundgebung bewegte viele. Nicht nur die Evag-Spitze wirkt angesichts der Finanzkrise ratlos. Das darf nicht das letzte Wort sein. Ein Kommentar.

An Phantasielosigkeit ist dieses Vorgehen kaum zu überbieten: Die Evag muss sparen und wirft nun einfach die raus, bei denen es am einfachsten ist: Fahrerinnen und Fahrer, die erst jüngst beim Verkehrsbetrieb angeheuert hatten und deren Arbeitsverträge deshalb zeitlich befristet waren. Juristisch ist das vermutlich wasserdicht, menschlich ist es eine Tragödie und betrieblich eine Blamage.

Denn es ist gerade anderthalb Jahre her, dass Evag-Vorstandschef Michael Feller mit großem Bohei und mit Hilfe auch dieser Zeitung einen Aufruf startete. Tenor: Wir brauchen mehr Fahrpersonal - liebe Leute, meldet euch! Es meldeten sich dann offensichtlich wirklich etliche, die zu Fahrern ausgebildet wurden und dies im Glauben taten, bei der Evag gut aufgehoben zu sein.

Anpacken wichtiger Strukturprobleme vernachlässigt

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Und nun diese bittere Klatsche. Sicher, grundsätzlich ist keiner davor gefeit, aufs falsche Pferd zu setzen, wenn er in einem neuen Betrieb anfängt. Bei wirtschaftlichen Problemen wird überall meist denen als erstes gekündigt, die zuletzt kamen. Aber das macht es nicht besser. Und niemand wird ja behaupten, dass die aufwendig angelernten Fahrer plötzlich nicht mehr gebraucht werden. Das Foto der Evag-Fahrerin, die bei der Mai-Kundgebung ihre Verzweiflung in einen eindringlichen Plakat-Text goss, geht mir jedenfalls nicht mehr aus dem Kopf. Über Jahre und Jahrzehnte hat die Evag das Anpacken wichtiger Strukturprobleme vernachlässigt und weiß sich nun offenbar nur noch mit Harakiri-Maßnahmen zu helfen.

Doch nicht nur die Führung der Evag erscheint überfordert. Die Stadtspitze wirkt ratlos, wie sie die vielen, miteinander verquickten Probleme der Stadttöchter bewältigen könnte. Essen schlingert angesichts einer Finanzkrise nie gekannten Ausmaßes, und der Oberbürgermeister ist im Wahlkampfmodus. Das Lösen von Problemen, das Führen seiner Stadt waren allerdings auch ohne nahenden Wahltermin nie seine Stärken.

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Wichtig wäre jetzt ein Aufbäumen, eine gemeinsame Kraftanstrengung aller, die in Essen Verantwortung tragen. Die Gegensätze, die ohnehin vielfach aus Gründen der politischen Show aufgebauscht sind, müssen hintan stehen. Dabei sollte auch über unkonventionelle Wege nachgedacht werden. Wenn eine Stadttochter wie die Evag faktisch zahlungsunfähig ist und die Stadt ihr nicht helfen kann und darf, mag eine geordnete Insolvenz der bessere Weg sein als resignierend Infrastruktur kaputt gehen zu lassen und menschliches Leid zu produzieren. Eine Insolvenz bietet immerhin die Chance eines Neuanfangs mit weniger finanziellen Altlasten. Nur das Angebot zurückfahren - das kann jeder. Das ist keine Lösung.