Essen. Die Stadt hat Nachholbedarf: Bis auf einige Hotspots und Freifunk gibt es kaum öffentliches Wlan. Die Stadt hat Bedenken, was die Haftung angeht.

Santiago Ferrer tippt auf sein Smartphone, öffnet den Internetbrowser und schaut dann etwas überrascht: Ja, sein Handy ist tatsächlich drin. Im freien Wlan.

Was in Metropolen in Deutschland und im Ausland selbstverständlich ist, ist in Essen nur vereinzelt im öffentlichen Raum zu finden: ein kostenloser Netzzugang. Das Problem: Es gibt Befürworter und große Akzeptanz einerseits, Verunsicherung und Fragen andererseits. Woher kommt das Wlan? Wem gebe ich meine Daten? Hafte ich, wenn man über mein Netz illegale Inhalte runterlädt? Es gibt Klärungsbedarf – bei Anbietern, Nutzern und in der Politik.

Ein Blick nach Essen-Steele: Santiago Ferrer ist beruflich hier, hat sich einen Tisch in der Ecke eines Cafés ausgesucht. Mit seinem Handy ist er mit dem frei zugänglichen Wlan hier verbunden, mit dem Laptop versucht er es nicht. „Bei Firmendaten bin ich sensibel.“ Draußen in der Sonne sitzt Karsten Krispin. Was hat er eingeschaltet? „Ich weiß gar nicht, was ich wann benutze. Das Wlan ist jetzt automatisch da. Läuft doch super!“ Hinter der Kuchentheke des Cafés steht ein Router, den die Gäste von Ayob Faradjpour nutzen können. „Wir wurden mehrfach danach gefragt“, sagt er. Auch der Optiker Daniel Busch hat einen Router für die Kunden aufgestellt– wenn auch nur zögerlich. „Meine Leitung anzuzapfen – das war mir irgendwie suspekt. Ich hatte Angst um unsere Daten.“

Stadt sorgt sich um Haftung

Zunächst einmal: Wer steckt hinter diesem Wlan? Es ist der Verein Freifunk mit etwa 300 Routern im gesamten Stadtgebiet. Privatpersonen oder Inhaber von Cafés oder Restaurants stellen sich dazu einen Router ins Haus und installieren eine Freifunk-Software. Geräte in der Umgebung verbinden sich dann zu einem großen Netzwerk. Wer das Netz nutzen will, drückt von seinem Smartphone aus einmal auf „Verbinden“. Keine Anmeldung erforderlich. „Damit können wir aber nicht den Breitbandausbau leisten. Dafür fehlt Geld und Manpower“, sagt Philip Berndroth, der für den Freifunk in Essen zuständig ist. Diese Unterstützung wünscht sich der Verein unter anderem von der Stadt Essen. Sie bietet freies Wlan aber bisher weder in öffentlichen Gebäuden noch in der Innenstadt an. Fragt man bei Essener Politikern nach, sind sie sich einig: Ja, wir wollen ein flächendeckendes Internet in der Innenstadt. Die Frage ist nur: Wie soll das geschehen? Diskussionen im Rat gab es schon Ende 2011. Die Verwaltung sollte damals prüfen, ob und inwieweit freies Wlan anzubieten ist. Erst zwei Jahre später beschloss man bei der Neuausschreibung der Werbeflächen, Wlan-Hotspots einzubeziehen. Konkret: Die Stadt stellt Werbetreibenden eine Fläche zur Verfügung und die richten im Gegenzug dort freies Wlan ein. Das könnte ab 2016 möglich sein.

Ist das Thema damit abgehakt? Im Oktober 2014 bringt es die Piraten-Partei wieder auf die Tagesordnung. Das Ergebnis: Man will herausfinden, ob man als Stadt andere Netzwerke unterstützen kann – vor allem geht es dabei um den Freifunk. Glaubt man den Befürwortern, könnte alles so leicht sein. Die Stadt könnte Freifunk-Router in öffentlichen Gebäuden einrichten. Fertig. Warum ist das bisher nicht geschehen? „Es gibt Bedenken, was die Haftung angeht“, sagt Sprecher Stefan Schulze. Lädt jemand illegale Inhalte über öffentliches Wlan aufs Handy – wer muss dann haften? Man ist unsicher, hat Angst.

Gesetzentwurf als Chance

Wilfried Adamy, Mitglied der Piraten-Partei plädiert für die weitere Verbreitung des Freifunks: „Das ist doch kein Teufelswerk.“ Der Verein profitiere nämlich von dem Provider-Privileg. Weder der Verein noch diejenigen, die sich einen Router aufstellen, müssen haften. Ebenfalls von dieser so genannten Störerhaftung ausgenommen sind in der Regel Wlan-Hotspots, wie es sie im Limbecker Platz, am Bahnhof oder in Restaurants in der Innenstadt gibt. Hier stehen Telekommunikationsdienstleister hinter. Einziger Unterschied: Die Nutzung dort ist im Gegensatz zum Freifunk auf eine Stundenzahl beschränkt. Danach ist das Angebot kostenpflichtig. Wer allerdings keinen Freifunk-Router hat, aber das Wlan-Passwort seines heimischen Gerätes oder das seines Cafés weitergibt, muss für Missbrauch haften.

Das könnte sich jetzt ändern. Die Regierung will es den Gewerbetreibenden einfacher machen. Sie sollen nicht mehr haften. Bedingung ist: Nutzer müssen vorher mit einem Klick bestätigen, dass sie sich rechtskonform verhalten. Für Privatpersonen, die ihr Wlan teilen wollen, ist es komplizierter. Sie müssen auf Anfrage Mitnutzer nennen können – egal, ob Mitbewohner, Nachbarn oder Gäste. Nur dann sind sie von der Haftung befreit. Der Gesetzentwurf lässt die Parteien nun beim Thema Wlan wieder hellwach werden. Die Stadt Essen teilt mit, dass man sich nun mehr Rechtssicherheit verspricht. Fabian Schrumpf von der CDU sieht den Entwurf als Chance an. Die Partei kündigt an, den Ausbau eines stadtweiten freien Wlans zu unterstützen.

Parteien wieder hellwach

Kann man den neuen Gesetzentwurf also als Fortschritt für freies Wlan in Essen ansehen? Der Freifunk-Verein und Wilfried Adamy von den Piraten sind alles andere als glücklich darüber. „Der Sinn des Freifunks könnte aufgehoben werden. Man gibt mit dieser Änderung Freiheit für scheinbar mehr Sicherheit auf. Das ist doch Quatsch“, sagt Adamy. Bürger mit Router hätten künftig eventuell größere Hürden zu nehmen: Namen aufschreiben oder eben einen Bestätigungsklick einführen. „Das ist total realitätsfern. Das können Privatpersonen und Cafés doch technisch nicht leisten“, sagt Freifunker Philip Berndroth.

Während die Freifunker selbst ihren Untergang befürchten, fangen Rat und Verwaltung jetzt richtig an, sich mit ihnen zu beschäftigen. Zwischen dem IT-Dienstleister der Stadt, dem Essener Systemhaus, und den Freifunkern gab es den ersten Mailkontakt. Ein Treffen soll folgen, kündigt die Stadt an. Haftung, Risiko, Datenaustausch – zu vielen Punkten gibt es aber noch Klärungsbedarf. Dass man mit einem freien und kostenlosen Netz in ganz Essen unterwegs sein kann – das bleibt vorerst ein Traum.