Essen. Die Stadt Essen will ein Modellprojekt starten: Unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Eltern sollen libanesische Jugendliche Passersätze erhalten.
Stundenlange Polizeieinsätze gegen rivalisierende Familienclans, junge aggressive Männer, die Polizisten aufs Heftigste bedrohen und etliche sichergestellte Messer am Ende einer dann doch noch abgewendeten Straßenschlacht:
Die jüngsten Konflikte unter libanesisch-stämmigen Bewohnern aus Altendorf und der Innenstadt sind nicht hinnehmbar und selbst für die libanesische Familien-Union nicht nur ein Grund zur Sorge, wie Vereins-Mitglieder jetzt in einem Brief an die Essener Polizeipräsidentin deutlich machen.
Blutige Familienfehden
Trotz Abscheu und Entsetzen sind Zwischenfälle auch der willkommene Anlass für eine nicht leicht nachzuvollziehende Erklärung, die aber ebenso immer wiederkehrt wie die manchmal blutigen Familienfehden: Eine offenkundige Ursache für die jüngsten Auseinandersetzungen, so ist zu lesen, sei doch die „aufenthaltsrechtliche Situation einiger Personen“. Wer Menschen jahrzehntelang nur als Geduldete ohne Perspektive abstempele, müsse sich nicht wundern, heißt der Tenor. So klingt es, wenn der Aufenthaltsstatus als Auslöser für Gewalt und Kriminalität herhalten muss.
Seit 30 Jahren tritt die Stadt bei der Lösung der Libanesenfrage nahezu auf der Stelle, auch weil das Ausländerrecht kaum Spielräume zulässt. Niemand wird damit einverstanden gewesen sein, dass nichts passierte – dennoch tat sich nichts. Doch jetzt, nach drei verstrichenen Jahrzehnten, wollen die Verantwortlichen sich erstmals ein großes Stück bewegen.
Eine Perspektive bekommen
Nach NRZ-Informationen wird unter der Federführung des städtischen Beigeordneten Andreas Bomheuer an einem Modellprojekt gearbeitet, das zumindest die Integration von libanesisch-stämmigen Jugendlichen voranbringen soll. Ein entsprechendes Konzept, das so ziemlich alle rechtlichen Grenzen ausschöpft, die auszuschöpfen sind, soll in dieser Woche im Landesinnenministerium vorgestellt werden, um es auf seine Machbarkeit prüfen zu lassen. Das Vorhaben soll vom Zentrum für Türkeistudien wissenschaftlich begleitet werden.
Sollte es mit Zustimmung des Innen- und Sozialministeriums realisierbar sein, könnte die Idee, die dahintersteckt, durchaus Signalwirkung für andere Städte haben – für Berlin und Bremen, die neben Essen als Libanesen-Hochburgen in der Bundesrepublik gelten und mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben in einer Parallelwelt, in der Kinder für ihre Eltern haften.
Doch künftig sollen staatenlose junge Menschen nicht mehr davon abhängig sein, ob ihre Familie ihre Identität preisgibt, sondern unter bestimmten Voraussetzungen Passersatzpapiere erhalten, die es ihnen ermöglichen, ihr Leben auf eigene Beine zu stellen: eine Ausbildung zu beginnen, einen Führerschein zu machen, zu arbeiten, damit sie eine Perspektive bekommen und sich eine Existenz aufbauen können – fern einer kriminellen Laufbahn. Die Gefahr abzurutschen ist nach wie vor offenbar groß. „In den Milieus finden die Betroffenen die Akzeptanz und die Anerkennung, die sie in der Gesellschaft sonst nicht erfahren“, heißt es seitens der Familien-Union.
Einzelfall gewissenhaft prüfen
Doch nur wer straffrei geblieben ist und Bildungsbereitschaft nachweisen kann, soll an dem Modellversuch teilnehmen können. Die Stadt geht derzeit davon aus, dass zehn Prozent der in Essen lebenden Menschen mit libanesischem Hintergrund für das Projekt in Frage kommen: Chancen hätten also rund 600 junge Libanesen bis zum Alter von 27 Jahren, die zunächst vom Sozialdienst der Stadt für eine gewisse Zeit an die Hand genommen werden, bevor eine Kommission mit Vertretern des Jugendamts und des kommunalen Integrationsmanagements diejenigen der Ausländerbehörde vorschlägt, die in den Genuss der Passersatzpapiere kommen.
Dabei soll nach den Vorstellungen der Stadt jeder Einzelfall gewissenhaft geprüft und beschieden werden, was letztlich der Erkenntnis gehorcht: Gruppen sind kaum zu integrieren, Individuen allerdings schon. Nur den Weg dahin, den muss man finden.