Essen. Nach heftigem Ringen pocht die Landesregierung offenbar auf einen Neuanfang im Vorstand der Stiftung Zollverein, Hermann Marth und Jolanta Nölle sollen weichen.
Wenn Dietrich Goldmann, Vorsitzender der Zollverein-Stiftungsrat, eines mit Gewissheit über den Welterbe-Ort sagen kann, dann das: „Man braucht hier viel Geduld.“ Über Jahre und mit millionenschwerer Unterstützung von Land und EU ist aus der einst größten und modernsten Steinkohlezeche der Welt ein Tourismus-Magnet mit jährlich 1,5 Millionen Besucher geworden, ein etablierter Standort für Kultur und Design und mit dem Neubau der Folkwang-Universität endlich auch ein Bildungsort.
Manche Entwicklung hat zuletzt an Fahrt gewonnen, doch die personelle Hängepartie um eine mögliche Vertragsverlängerung der beiden Vorstandsmitglieder Hermann Marth (63, Vorsitzender) und Jolanta Nölle (56) sorgt seit Wochen hinter den Kulissen für Unruhe. Wie die WAZ aus Kreisen der lokalen Politik erfuhr, soll die Landesregierung NRW, die als größter Geldgeber das entscheidende Wort hat, inzwischen festgelegt sein: Marth und Nölle sollen Ende Mai ihre Stühle in der Führungsetage der Stiftung räumen.
Das Wort vom Neuanfang scheint durchaus gewagt
Interaktive Karte Zollverein
Im federführenden Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr möchte man diesen Informationen zufolge einen personellen Neuanfang und den Vertrag des 63-jährigen Marth nicht um weitere zwei Jahre verlängern, wie Marth und seine Fürsprecher es wollen. Und Jolanta Nölle, so heißt es, könnte künftig die Abteilung Kunst und Kultur der Stiftung leiten, wo mit dem Abgang des künstlerischen Leiters Fabian Lasarzik bald ohnehin eine Vakanz entsteht. Auf Vorstandsehren soll sie allerdings dann verzichten. Als alleinige Nachfolgerin im Vorstand wird bislang der Name Milena Karabaic genannt. Die Kulturdezernentin beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) und langjährige Leiterin des Industriemuseums Oberhausen ist gut vernetzt, allerdings nur wenig jünger als Marth - zumindest unter diesem Aspekt erscheint das Wort vom Neuanfang durchaus gewagt.
Hinter den Kulissen wird heftig gerungen
Doch gibt es eben einflussreiche Kräfte, die Marths 2008 begonnene Mission als beendet ansehen und ihn als zu wenig visionär empfinden. Der frühere langjährige Chef der RAG-Immobiliensparte trieb mit einigem Erfolg auf Zollverein die bauliche Entwicklung voran, die lange der Schwachpunkt auf dem riesigen Areal war. So konnte vor drei Jahren die neue Zentrale der RAG Immobilien GmbH an der Koksofenbatterie eingeweiht werden, Vorhaben wie ein Hotel, die Folkwang-Uni und der Weiterbau der Designstadt sind fest projektiert, freilich noch nicht gebaut. Deshalb hält nicht jeder die Entscheidung für klug, nun mitten im Strom den Kutscher zu wechseln.
Die Stiftung Zollverein
Die Stiftung Zollverein wird getragen vom Land NRW, dem Landschaftsverband Rheinland und der Stadt Essen, die jeweils im Stiftungsrat vertreten sind. „Zweck der Stiftung ist die Förderung der Kultur und Denkmalpflege, insbesondere im Hinblick auf die Wiedernutzbarmachtung, Pflege und Erhaltung des Welterbes Industrielle Kulturlandschaft Zollverein“, heißt es in der Satzung.
„Der Stiftungsrat ist das oberste Willensbildungsorgan der Stiftung und beschließt über die wesentlichen Stiftungsangelegenheiten“ - die starke Stellung des Stiftungsrates auch mit Blick auf den Vorstand wird hier deutlich.
Demgegenüber hat das Kuratorium der Stiftung, dem derzeit 17 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur angehören, nur beratende Funktion, die Beschlüsse haben für den Stiftungsrat empfehlenden Charakter. Kuratoriumsvorsitzender ist der frühere Bundesminister Werner Müller.
Besonders der frühere Bundeswirtschaftsminister und ehemalige RAG- und Evonik-Chef Werner Müller hat sich vehement für seinen alten Mitstreiter Hermann Marth eingesetzt, biss damit aber beim zuständigen Minister Michael Groschek offenbar auf Granit. Müller, Vorsitzender des beratenden Kuratoriums Zollverein, soll darüber verständlicherweise vergrätzt sein. Unübersichtlich sind die Fronten in der Essener Kommunalpolitik: Während OB Reinhard Paß nicht als Freund von Marth gilt, schätzt Planungsdezernent Hans-Jürgen Best ähnlich wie Werner Müller das Knowhow des 63-Jährigen. Mit Karabaic, so befürchten manche, drohe womöglich eine Überbetonung des Kulturellen, ein Rückfall in die Zeit, als Zollverein mal einen Ruf als verschwenderische Spielwiese für Schöngeister hatte.
Das Kuratorium berät, entscheiden darf und muss aber der Stiftungsrat. Das fünfköpfige Gremium fungiert als eine Art Zollverein-Aufsichtsrat und ist unter anderem zuständig für Berufung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern. Dietrich Goldmann ist Vorsitzender, zwischen ihm und Marth ist die Stimmung nicht die beste. Neben dem früheren Allbau-Chef haben dort Sitz und Stimme: die NRW-Staatssekretäre Bernd Neuendorf und Michael von der Mühlen, Hans-Jürgen Best als Essener Vertreter und als Vertreterin des Landschaftsverband - Milena Karabaic. Selbst wenn sich die Kunsthistorikerin wegen der möglichen eigenen Interessen zurückhält, dürfte damit die Mehrheit gegen Marth stehen.
Ort der Industriefotografie
Offiziell etwas sagen möchte niemand zum anstehenden personellen Umbau. Fragt man Goldmann, was Zollverein für die Zukunft braucht, dann geht es vor allem um eine stärkere Programmatik. „Jeder kennt den Doppelbock“, sagt Goldmann, doch die Marke Zollverein müsse auch darüber hinaus weiter entwickelt werden. Neue Inhalte, kreative Impulse, das Signal zu mehr ruhrgebietsweiter Vernetzung hält er – auch vor dem Hintergrund der zukünftigen finanziellen Situation – für unerlässlich. Goldmann gehen Projekte mit deutlich größerer Strahlkraft durch den Kopf, wie eine internationale Biennale der Industriefotografie, die er gern in Kooperation mit dem Museum Folkwang auf Zollverein etablieren würde. Außerdem müsse der erhoffte Ansiedlungsprozess von Design-Studenten rund um das Zollverein-Gelände inhaltlich gestaltet werden. „Die Studenten kommen nicht von allein. Wir sind ein Ort der kreativen Zukunft, das muss man auch merken“, sagt Goldmann.
Hinweise, wohin nach Ansicht des Stiftungsrats die Reisen gehen soll, sind damit gegeben. Wer mitfahren darf, wird sich bald zeigen.