Essen. . Unbemerkt vom Personal verließ Josef Stockmann (81) nachts im Schlafanzug das Elisabeth-Krankenhaus. Passanten fanden den demenzkranken Mann.

Cornelia Gerhardt ist fassungslos, wenn sie sich die Verletzungen ihres Vaters Josef Stockmann anschaut: Der 81-Jährige hat ein blaues Auge und Blessuren an der Nase und am Knie. „Aber es hätte noch schlimmer ausgehen können“, sagt die Tochter. Am Sonntag war ihr demenzkranker Vater gestürzt und mit einer Gehirnerschütterung ins Elisabeth-Krankenhaus gekommen. In der Nacht zum Mittwoch verschwand er aus der Klinik.

Nur mit Schlafanzug und Hausschuhen bekleidet, hatte der verwirrte Patient das Krankenhaus verlassen und war durch die klirrend kalte Nacht geirrt. In der Klinik hatte man ihn zuletzt gegen 22.30 Uhr gesehen – und danach nicht vermisst. Erst kurz nach Mitternacht wurde der Senior etwa einen Kilometer entfernt an der Bandelstraße von Passanten gefunden: Er war völlig durchnässt, durchfroren und hatte sich offenbar bei einem erneuten Sturz das Gesicht verletzt.

„Wir haben gedacht, mein Vater ist dort in guten Händen“

Ein Krankenwagen brachte ihn zurück ins Krankenhaus, „bis dahin war niemandem aufgefallen, dass mein Mann nicht mehr in seinem Zimmer ist“, empört sich Ehefrau Ursula Stockmann. Als ihn die Familie am nächsten Morgen besuchte, fiel sie aus allen Wolken. „Keiner hat uns nachts Bescheid gegeben“, sagt Tochter Cornelia Gerhardt und fügt hinzu: „Wir haben gedacht, mein Vater ist dort in guten Händen, und wir müssten uns keine Sorgen machen.“ Die Familie entschloss sich, den Vater sofort mit nach Hause zu nehmen, wo er von einem Notarzt untersucht wurde. „Wir verstehen nicht, dass ein dementer Patient auf der Station nicht besser überwacht wird. Außerdem sind wir auch über die Reaktion der Verantwortlichen und die Formulierung im Arztbrief empört“, sagt die zweite Tochter Annette Seidel. Ihr Vater habe sich „unerlaubt entfernt“, stehe dort, und dass man ihn „zügig“ eingesammelt habe. „Das stimmt einfach nicht.“ Könne man von einem Demenzkranken überhaupt sagen, er habe die Klinik unerlaubt, also willentlich, verlassen?

Statt sich zu entschuldigen, habe die Geschäftsführung darauf hingewiesen, dass man keine geschlossene Anstalt sei, sondern eine Politik der offenen Tür betreibe. Außerdem liege kein richterlicher Beschluss vor, nach dem man Josef Stockmann am Bett hätte fixieren oder einschließen können. „Bislang gab es für solch einen Beschluss keinen Anlass, mein Vater hatte noch nie die Tendenz, wegzulaufen“,sagt Annette Seidel. Wahrscheinlich habe die fremde Umgebung für eine große emotionale Verwirrung gesorgt. Den Schwestern und Pflegern machen beide Töchter keinen Vorwurf: „Das Personal ist nach unserem Eindruck total überarbeitet, die Station chronisch schlecht besetzt.“ Das sei der eigentliche Skandal.

Contilia-Sprecherin: keine besondere Aufsichtspflicht

Dorothee Renzel, Sprecherin des Klinikbetreibers Contilia, kann die Sorgen und Nöte der Familie verstehen. „Wir werden uns mit allen Beteiligten zusammensetzen und in Ruhe darüber reden“, versucht sie, die Wogen zu glätten. Auch auf die Frage, wie es dem Patienten gelingen konnte, das Krankenhaus unbemerkt zu verlassen, weiß sie eine Antwort: „Die Hauptpforte ist nachts geschlossen, aber der Nebeneingang nicht. Wir sind ja kein Gefängnis.“ Und in der Regel würde die Nachtschwester alle ein bis zwei Stunden nach ihren Patienten schauen. Eine besondere Aufsichtspflicht gegenüber dementen Patienten bestehe aber nicht, betont Dorothee Renzel.

Die Familie von Josef Stockmann will mit dem Schritt in die Öffentlichkeit auch ein Problem ansprechen, das es in Zukunft häufiger geben wird: „Krankenhäuser müssen sich generell Gedanken darüber machen, wie sie mit ihren dünnen Personaldecken für die Sicherheit dementer Patienten sorgen können“, sagt Cornelia Gerhardt.