Essen. Extreme hohe Nachfrage bei Babynahrung beflügelt Spekulationen über „chinesische Mafia“. Aber offenbar ist der Feiertag daran schuld.
Lebhafte Reaktionen hat unser Bericht über das „Tägliche Ringen ums Milchpulver“ vom vergangenen Freitag ausgelöst. Ob in Internetforen oder Leserzuschriften: Junge Mütter berichten übereinstimmend und detailliert von packenden Jagdszenen, die sich neuerdings in Essener Drogerien und Supermärkten abspielen sollen. Sehr populär ist dabei die steile These von der mutmaßlichen „chinesischen Milchpulver-Mafia“, von einer skrupellosen Vereinigung demnach, die in Essen und anderswo Babynahrung im großen Stil aufkaufe und sodann im Internet für ein Vielfaches gewinnbringend feilbiete.
„Ich musste in den letzten Wochen und Monaten die Erfahrung machen, dass die Drogerien . . . systematisch von Chinesen leergekauft werden“, empört sich Leserin Steffi Endlein. In großen Kartons auf Sackkarren würden die Milchpulver-Packungen fein säuberlich gestapelt. „Als Mutter und Tante kleiner Kinder ständig vor leergefegten Regalen zu stehen, stößt mir schon sehr lange sauer auf.“
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Wir befragten Drogerieketten wie „dm“ und Babynahrung-Branchenführer wie Milupa, aber auch in Essen lebende China-Kenner zum „Milchpulver-Drama“ – und können Entwarnung geben. Denn ganz offenbar wird die erhöhte Nachfrage nur durch das chinesische Neujahrsfest am 19. Februar ausgelöst – Milchpulver „made in Germany“ ist in Peking und Shanghai ein beliebtes Geschenk zum hohen Feiertag. „Chinesen verschenken gerne Geld in roten Umschlägen, aber auch Lebensmittel wie etwa das kostbare Milchpulver aus Deutschland“, bestätigt die Essener Philosophie-Doktorandin Lisa. Sie ist mit einem chinesischen Studenten verheiratet, das junge Paar hat einen vier Monate alten Sohn, der allerdings noch gestillt wird. In der Vergangenheit habe auch sie schon Milchpulver an die Schwägerin in China geschickt.
Milupa-Sprecher: "Wir haben die Produktion verdreifacht"
Nachdem Babynahrung-Skandale 2008 und 2010 das Reich der Mitte zutiefst erschütterten, sei das Vertrauen der Chinesen in einheimische Lebensmittel – erst recht in Babynahrung – völlig dahin. „Wenn wir nach China fliegen, nehmen wir allein einen Koffer mit, der nur mit Lebensmitteln gefüllt ist“, betont Lisa. Selbst dem Mineralwasser sei in China kaum zu trauen. Hinzu käme die Pekinger Ein-Kind-Politik. „Da wollen Eltern überhaupt kein Risiko eingehen und verlassen sich lieber auf einwandfreies Milchpulver aus Deutschland.“
Die zuletzt von “dm“-Geschäftsführer Christoph Werner diagnostizierte „extrem hohe Nachfrage“ wird von Milupa-Sprecher Stefan Stohl bestätigt: „In den letzten Wochen haben wir eine starke Nachfrage mit Ausreißern nach oben beobachten können.“ Das sei kurios. Denn die Lage auf dem Milchpulver-Markt sei zuletzt ziemlich entspannt gewesen. „Wir haben die Produktion in den letzten fünfzehn Monaten verdreifacht, unser Werk in Fulda produziert nun Milchpulver an 365 Tagen rund um die Uhr, daher gibt es keinen Lieferengpass.“ Noch vor zwei Jahren sei der Branchenführer von der exorbitant gestiegenen Nachfrage aus China „eiskalt erwischt“ worden.