Essen. In zehn Jahren wird es nur noch halb so viele Mathe-, Physik- oder Chemielehrer geben. An Essens weiterführenden Schulen ist das schon zu spüren.
Eigentlich ist es ja nichts Neues, dass gerade in den Schulfächern Mathematik, Physik oder Informatik die Lehrerschaft etwas dünn aufgestellt ist. Der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm hat während einer Studie im Auftrag der Telekom-Stiftung allerdings herausgefunden, dass das erst der Anfang sei. Seine Prognose ist alarmierend: Die Zahl der Lehrer in den so genannten MINT-Fächern – steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – wird sich in den kommenden zehn Jahren halbieren.
Viele lokale Schulleiter wissen schon jetzt kaum noch, mit dem Personalmangel umzugehen. Heike Walbrodt-Derichs, Schulleiterin des Gymnasiums Borbeck kennt dieses Problem. „Mangels Lehrer können wir derzeit gar keinen Informatikunterricht anbieten“, bedauert die Schulleiterin.
„In Physik und Chemie bewältigen wir in jedem neuen Schuljahr einen Drahtseilakt. Diese beiden Fächer bekommen wir gerade so gestemmt“, sagt Walbrodt-Derichs und ergänzt, dass das nur gelinge, weil eine Kooperation mit dem Mädchengymnasium Borbeck bestehe. Nur so konnten die Leistungskurse in jedem Jahr zustande kommen. „Zum Glück gehen diese Fachlehrer nicht so bald in den Ruhestand“, sagt die Schulleiterin hörbar erleichtert.
In MINT-Fächern bleiben Referendare aus
Kollege Stefan Beyer, stellvertretender Schulleiter der Gesamtschule Bockmühle, teilt diese Sorgen. „Wir brauchen viel mehr Lehrer“, bringt es der Pädagoge auf den Punkt. „Zu gerne würden wir das Angebot in Physik ausweiten, nur ist das wegen der derzeitigen Situation schlicht nicht möglich“, erklärt Beyer.
Wesentlich optimistischer können die Direktoren der Gymnasien Überruhr, Nord-Ost und Carl-Humann über die Situation sprechen. „Wir haben keine Personalprobleme. Allerdings wissen wir auch, wie froh wir darüber sein können“, betont Schulleiterin Doris Mause vom Carl-Humann-Gymnasium in Steele. Udo Brennholt, Direktor am Gymnasium Essen Nord-Ost, kann zwar erleichtert in die Zukunft blicken, dennoch merkt auch er, dass die Referendare in den MINT-Fächern ausbleiben. „Ich bin froh, dass ich keines der Fächer ausschreiben muss. Es würde sich wohl kaum einer melden“, vermutet Brennholt.
Pensionierungswelle wird zum Problem
Den Erkenntnissen des Bildungsforschers Klemm nach zu urteilen, ist nicht nur die anstehende Pensionierungswelle ein Problem, sondern auch die Abbrecherquote an den Universitäten. Schulleiter und Mathelehrer Udo Brennholt vom Gymnasium Essen Nord-Ost kennt das hohe Pensum des Mathematikstudiums. „Es wird einem sehr viel abverlangt. Wenn man das dann geschafft hat, entscheidet man sich wohl eher für einen Beruf in der freien Wirtschaft anstatt an einer Schule“, glaubt der Schulleiter.
Trotz des Mangels an Lehrpersonal für die MINT-Fächer stecken die Direktoren nicht die Köpfe in den Sand, sondern suchen nach Lösungen. An der Gesamtschule Bockmühle in Altendorf behilft man sich damit, dass in den Klassen fünf und sechs das Fach „Naturwissenschaften“ unterrichtet wird. Heißt, dass beispielsweise ein Biologielehrer auch die Bereiche Physik und Chemie abdeckt, da es um Basiswissen geht. Wie groß teilweise die Verzweiflung ist, sieht man daran, dass hin und wieder externes Personal eingestellt wird – die Physiker, Chemiker oder Informatiker müssen dann nur die pädagogische Laufbahn durchschreiten.
Humann-Gymnasium als MINT-Schule ausgezeichnet
Schulleiterin Doris Mause vom Carl-Humann-Gymnasium hat in der Vergangenheit vorausschauend nahezu immer Lehrer für die MINT-Fächer bevorzugt. Heute profitieren die Schüler davon, dass in Klasse acht und neun mit der Hilfe von insgesamt vier Informatiklehrern jeweils zwei Kurse angeboten werden können. Nicht ohne Grund ist das Carl-Humann-Gymnasium im vergangenen Jahr als MINT-Schule ausgezeichnet worden, im kommenden Schuljahr soll die erste MINT-Klasse folgen.
„Die ganz Kleinen werden durch Robotik und eine vereinfachte Programmiersprache an die Materie herangeführt“, erklärt Mause, „danach werden abwechselnd die Stunden in den einzelnen Fächern hochgeschraubt.“ So positiv die Entwicklung klingt, es schwinge immer ein wenig Angst mit. „Wir werden ein großes Problem haben, wenn wir in der Zukunft kein Fachpersonal mehr bekommen“, weiß die Direktorin. Und doch ist es ihr das Risiko wert, schließlich lechze auch die Wirtschaft nach Fachkräften.
Auch wenn an einigen Schulen der Mangel an Lehrern für MINT-Fächer zu spüren ist – es werde weiter nach geeigneten Lehrkräften gesucht, um die Wünsche der Schüler zu erfüllen, heißt es.